Die Kritiker werfen Pep Guardiola nach dem 0:1 im Champions-League-Halbfinal gegen Atletico Madrid falsche Personalentscheide vor. Bayern und die Müller-Ribéry-Polemik.
In München wird vor allem in schwierigen Momenten sehr viel auf Pep Guardiola reduziert. Jede Regung, jeden Griff zur Wasserflasche, jedes Zucken, jeden Wortfetzen interpretieren die Beobachter in solchen Situationen zu Lasten des Charakterglatzkopfes.
Die deutsche Agentur «dpa» leitete unmittelbar nach dem Schlusspfiff im Vicente Calderon eine Debatte über Guardiolas Poker ein, zunächst auf den französischen Powerflügel Franck Ribéry und den achtfachen Champions-League-Torschützen Thomas Müller zu verzichten.
Weitere Kommentatoren dehnten die Diskussion aus: «Verpokert.» Nicht nur die «Sportbild» mäkelte, auch die «Frankfurter Allgemeine» befand, die Bayern und primär ihr Coach hätten sich «abkochen» lassen. Die «Süddeutsche» verstärkte das Pressing auf Guardiola zusätzlich: «Die Bilder dieses Abends zeigen einen Mann, der unzufrieden ist, enttäuscht, überrascht, vielleicht auch: ratlos.»
Franz Beckenbauer, zumindest im Süden Deutschlands in der Deutungshoheit kein zu unterschätzender Faktor, meldete sich in der «Bild-Zeitung» ebenso zu Wort: «Die Aufstellung ist auswärts vielleicht vertretbar. Aber ohne Müller fehlt Lewandowski vorne die Unterstützung.» Der Kaiser goutierte die Ausrichtung nicht.
Die Erklärung des Trainers
Der Münchner Trainer hielt es hinterher für nötig, seinen Game-Plan im Sky-Interview im Detail zu veröffentlichen: «Ich wollte einen Linksfuss auf der linken Seite haben und einen Rechtsfuss auf der rechten Seite.» Deshalb habe er auf den 19-jährigen Kingsley Coman und den bulligen Brasilianer Douglas Costa gesetzt, so Guardiola.
«Ausserdem wollte ich einen Mittelfeldspieler mehr haben», dozierte der katalanische Taktgeber. Doch die drei zentralen Mittelfeldspieler Thiago, Xabi Alonso und Arturo Vidal hatten auf dem stumpfen Rasen wenig auszurichten. Zum dritten Mal in Folge habe Guardiola in einem Halbfinal-Hinspiel auf die falsche Strategie gesetzt, monierten die Kritiker.
Womöglich spielte die europäische Vorgeschichte in den Überlegungen des Münchner Chefplaners tatsächlich eine zu grosse Rolle. Die Furcht, ähnlich wie im Frühling 2015 in Barcelona (0:3) in eine schwer zu korrigierende Lage zu geraten, liess sich nicht abschütteln.
Das falsche Triple
Die Bilanz nach 270 Halbfinal-Minuten auf spanischem Boden fällt aus der Sicht des deutschen Rekordmeisters ernüchternd aus: drei Niederlagen, 0:5 Tore. Eine desaströse Viertelstunde gegen Barça, ein Kontertor gegen Real und nun eine missratene erste Hälfte gegen Atletico sind die Fakten zum falschen Münchner Triple.
Guardiola war 2013 als Superstar der Branche angetreten. Von «San Pep» erhoffte sich die Bayern-Leitung den Vorstoss in die nächste Dimension. Das katalanische Trainer-Genie sollte den Triple-Sieger weiter vergolden. Nun bleibt ihm nur noch eine Chance, den FCB wieder an die Spitze Europas zu führen.
«Bayern, kriegt ihr das noch hin?» Der Boulevard macht sich Sorgen, Guardiola hingegen verlor zwar ein weiteres wichtiges Spiel in seiner Heimat, aber keinesfalls die Nerven: «Wir benötigen ein Tor.» Sie müssten intelligent spielen und «vielleicht noch andere Lösungen finden».
Der Blick auf Statistik könnte zumindest in mentaler Hinsicht lohnenswert sein. Selbst die derzeit im defensiven Bereich wohl beste Equipe Europas muss sich auswärts gegen die Bayern auf eine nahezu beispiellose Druckwelle einstellen: Zu Hause hat der FCB auf Champions-League-Ebene elf Siege in Serie zelebriert – bei einem imposanten Torverhältnis von 41:6!