Geldstrafen als Bestrafung sollen weniger, Freiheitsstrafen wieder häufiger verhängt werden. Der Nationalrat sprach sich am Dienstag dafür aus, die Geldstrafe im Strafrecht zurückzudrängen, ohne aber die umstrittene bedingte Geldstrafe ganz abzuschaffen.
Bei rund 73 Prozent der Urteile in der Schweiz werden heute bedingte Geldstrafen ausgesprochen, welche die Täter nur dann bezahlen müssen, wenn sie rückfällig werden. Für die Kritiker mangelt es diesem System an Abschreckungswirkung und Akzeptanz in der Bevölkerung. Mehrere Verschärfungen sollen dies ändern.
Der Nationalrat will namentlich den seit 2007 geltenden Vorrang für Geldstrafen gegenüber Freiheitsstrafen unter sechs Monaten aufheben. Das heisst: Auch bei geringeren und mittleren Delikten sollen Straftäter wieder hinter Gitter – ausser wenn «besonders günstige Umstände» vorliegen. Trotz stundenlanger Diskussion hiess der Rat diese Änderung deutlich mit 181 zu 13 Stimmen gut.
Lächerlich empfundene Strafen
Delinquenten hätten damit geprahlt, dass sie ohne Strafe davon gekommen seien, wenn sie mit einer bedingten Geldstrafe belegt worden waren, sagte Beat Flach (GLP/AG). Gerade «Kriminaltouristen» empfänden eine bedingte Geldstrafe nicht als Strafe, sagte Christian Lüscher (FDP/GE). «Niemand versteht es, wenn ein Kügelidealer nur eine bedingte Geldstrafe erhält», fügte Luzi Stamm (SVP/AG) hinzu.
Selbst die SP sah Handlungsbedarf, obwohl sie sich gegenüber der Wiedereinführung der kurzen Freiheitsstrafen eher kritisch zeigte. Es gebe Täter, bei denen eine bedingte Geldstrafe tatsächlich keine Wirkung entfalte, sagte Daniel Jositsch (SP/ZH). Die SP wollte die bedingte Geldstrafe nur für diese abschaffen, scheiterte aber.
Am heutigen System festhalten, wollte ein Teil der Grünen. «Es gibt keine Erhebung, die nachweist, dass das neue System versagt hätte», sagte Daniel Vischer (Grüne/ZH). Er plädierte dafür, dem System mehr Zeit zu geben, statt aus einem Bauchgefühl heraus Änderungen vorzunehmen.
Es könnten zudem neue Ungerechtigkeiten entstehen, da bedingte Freiheitsstrafe künftig weniger schlimm seien als Geldstrafen, wenn diese nur noch bedingt ausgesprochen werden könnten, sagte Vischer.
Akzeptanz schaffen
Vertreter anderer Parteien mussten eingestehen, dass ein Wirkungsproblem des heutigen Systems nicht erwiesen ist. Weder Kriminalität noch Rückfallquote hätten sich gross verändert, sagte Andrea Caroni (FDP/AR) als Vertreter der vorberatenden Rechtskommission. Sicher sei nur, dass die Einnahmen mit den Geldstrafen gestiegen seien.
Aber: Gerade Opfer empfänden die bedingte Geldstrafe für zu wenig scharf, sagte er. Und deren Stimme müsse besonderes Gewicht haben. «Teil eines funktionierenden Rechtssystems ist auch, dass das Sanktionensystem gesellschaftlich akzeptiert ist und das Vertrauen einer breiten Öffentlichkeit geniesst», sagte Karl Vogler (CVP/OW).
Da die Zeit nicht reichte, um die Vorlage fertig zu beraten, wird sich der Nationalrat am Mittwochnachmittag erneut damit befassen. Dabei wird auch ein Antrag der SVP zur Sprache kommen, wieder zum Bussensystem von vor 2007 zurückzukehren. Damit würden Geldstrafen generell abgeschafft.
Die SVP möchte ausserdem auch verhindern, dass fehlbare Autofahrer vermehrt Geldstrafen bezahlen müssen, falls diese nicht mehr bedingt ausgesprochen werden können. Das wäre ein «Raubzug am Mittelstand», sagte Stamm. Caroni verwies auf die Rechtsgleichheit.
Verschärfungen für Geldstrafen
Zurückdrängen will der Nationalrat die Geldstrafe auch damit, dass sie nur noch bis maximal 180 Tagessätzen verhängt werden kann. Die Halbierung des heutigen Maximums von 360 Tagessätzen soll dazu führen, dass bei mittleren Delikten wieder vermehrt eine Freiheitsstrafe ausgesprochen wird. Die SVP wollte die untere Schwelle sogar bei 90 Tagessätzen festlegen.
Gegen den Widerstand der SP und der Grünen erhöhte der Nationalrat auch den minimalen Tagessatz für Geldstrafen auf 30 Franken. Heute gibt es keine Untergrenze. Die Linke hätte wie der Bundesrat einen Satz von 10 Franken favorisiert. Sie warnte vor einer «Klassenjustiz», da der höhere Satz ärmere Schichten stärker treffen würde.
Höhere Kosten für Kantone
Der Bundesrat hatte entsprechend einem Auftrag des Parlaments vorgeschlagen, die bedingte Geldstrafe ganz abzuschaffen. Nun schloss er sich aber dem Vorschlag des Nationalrats an. Da als Folge der Änderung wieder mehr Freiheitsstrafen ausgesprochen würden, würden bei den Kantonen aber Zusatzkosten anfallen, gab Justizministerin Simonetta Sommaruga zu bedenken.
Auf die Häufung an Gefängnisstrafen wollen Bundesrat und Nationalrat reagieren, indem die gemeinnützige Arbeit wieder als Vollzugsform zugelassen wird – und nicht als eigene Strafe. Ausserdem soll auch die elektronische Fussfessel verbreiteter angewandt werden.
Nach dem Nationalrat wird sich auch der Ständerat mit der Änderung des Strafgesetzbuches auseinandersetzen müssen.