Das Bundesamt für Migration steht unter Beschuss: Eine externe Untersuchung zeigt, dass bei der Rückführung von Tamilen nach Sri Lanka die «Gefährdung nicht richtig eingeschätzt wurde».
Im Sommer 2013 sind zwei abgewiesene Asylsuchende bei ihrer Einreise in Sri Lanka verhaftet worden. Sie befinden sich noch immer im Gefängnis. Grund dafür ist das Versagen der Schweizer Behörden, wie ein am Montag veröffentlichter Bericht feststellt.
Das Bundesamt für Migration (BFM) hatte die Asylgesuche der beiden Männer 2011 abgelehnt. Den Vollzug der Wegweisung beurteilte das Bundesverwaltungsgericht später als zulässig und zumutbar. Nachdem die Männer bei ihrer Rückkehr nach Sri Lanka verhaftet worden waren, zog das BFM im letzten September die Notbremse und suspendierte alle Rückschaffungen nach Sri Lanka.
Gleichzeitig ordnete BFM-Direktor Mario Gattiker eine externe Untersuchung der beiden Fälle an. Die Berichte von Walter Kälin, Leiter des Schweizerischen Kompetenzzentrums für Menschenrechte, sowie des UNO-Hochkommissariats für Flüchtlinge (UNHCR), werfen kein gutes Licht auf die Verfahrensführung durch das BFM.
Gefährdung falsch eingeschätzt
Die Verknüpfung verschiedener Mängel habe dazu geführt, dass das individuelle Risiko einer Gefährdung in Sri Lanka nicht richtig eingeschätzt worden sei, heisst es in einer Mitteilung zum Bericht. Das Behördenversagen hat demnach mehrere Ursachen.
Eine davon sind mangelhafte Abklärungen: Das BFM muss sich den Vorwurf gefallen lassen, bei den Anhörungen in beiden Fällen zu wenig in die Tiefe gegangen zu sein und notwendige weitere Abklärungen unterlassen zu haben.
Dass die Dossiers von mehreren Personen bearbeitet wurden, machte die Sache nicht besser. So wurden beispielsweise die Asylentscheide von einer anderen Person gefällt als jener, die die Befragungen durchgeführt hatte.
Der Bericht ortet auch «systembedingte Umstände» als Grund für das tragische Versagen: Wegen einer laufenden Reorganisation wurden die Mitarbeitenden im Asylbereich ungenügend geführt. Und schliesslich war die Lage in Sri Lanka nach Ende des Krieges 2009 unübersichtlich und veränderte sich laufend bis zum Zeitpunkt der Wegweisung im Sommer 2013.
Kein individuelles Versagen
Die Gutachter machen keine einzelnen Mitarbeitenden des BFM für die Fehler verantwortlich. Vielmehr habe die Verknüpfung verschiedener Mängel zur Verhaftung der beiden Asylbewerber geführt. Mit mehreren Massnahmen, etwa mit besseren Aus- und Weiterbildungen, will das BFM solche Fehler künftig verhindern.
Zudem wurden nach einer Lageanalyse die Kriterien für Rückschaffungen nach Sri Lanka verschärft: Anhand des neuen Risikoprofils werden nun alle negativen Asylentscheide von Personen aus Sri Lanka neu aufgerollt.
Dies dürfte insbesondere jene 300 Menschen betreffen, deren Rückschaffung vorläufig ausgesetzt wurde. Insgesamt befanden sich Ende April 3717 Personen aus Sri Lanka in der Schweiz im Asylprozess. Knapp die Hälfte von ihnen wartete noch auf einen erstinstanzlichen Entscheid, fast ebenso viele waren vorläufig aufgenommen.
Verhaftung und Folter
Für viele Tamilen kommen die Erkenntnisse des Berichts zu spät: Seit der Wiederaufnahme der Rückschaffungen 2011 bis zur Einstellung im letzten Herbst sind bereits rund 250 Personen aus der Schweiz nach Sri Lanka zurückgekehrt – einige davon unter Zwang.
Der Schweizerischen Flüchtlingshilfe sind mehrere Fälle bekannt, in welchen abgewiesenen Asylsuchenden nach ihrer Rückkehr verhaftet und gefoltert worden sind. Was den Flüchtlingen droht, hat die TagesWoche in einem Hintergrund-Artikel zum Thema geschildert: Nach der Ausschaffung droht die Folter.
Die sri-lankischen Behörden verdächtigen die Tamilen, sich für die Rebellenorganisation Befreiungstiger von Tamil Ealam (LTTE) engagiert zu haben. Die Tamil Tigers setzen sich für die Unabhängigkeit der von Tamilen dominierten Gebiete im Norden und Osten Sri Lankas ein. Nach einer Armeeoffensive mit Tausenden von Toten unterlag die LTTE 2009 in dem bewaffneten Konflikt.
Auch für die Familien der seit Sommer in Sri Lanka inhaftierten Männer dürfte der Bericht nur ein schwacher Trost sein. Nach Angaben des BFM steht die Botschaft in Colombo in regelmässigem Kontakt mit ihnen.
Die Mängel im Verfahren in der Übersicht (zitiert gemäss Mitteilung):
- Komplexer Kontext Sri Lanka: In beiden Fällen dauerte es mehr als vier Jahre von der Einreichung des Asylgesuchs (2009) bis zum Vollzug der Wegweisung (2013). In dieser Zeit änderte sich die Situation in Sri Lanka. Die nach dem Kriegsende von 2009 vorherrschende Hoffnung auf eine Versöhnung im Land hat sich so nicht realisiert, der Druck auf die Diaspora ist gestiegen.
- Viele Verfahrensbeteiligte: Die lange Zeitspanne brachte mit sich, dass die Dossiers von mehreren Personen bearbeitet wurden. So war es nicht dieselbe Person, welche die Befragungen durchführte und später den Asylentscheid fällte.
- Systembedingte Umstände: Das BFM hatte damals eine Reorganisation umgesetzt, welche dazu führte, dass Führungspersonen im Asylbereich eine grosse Anzahl von Mitarbeitenden betreuen mussten. Dies hatte Auswirkungen auf die Führung und fachliche Begleitung der Mitarbeitenden. Im Zuge der 2012 gestarteten Organisationsentwicklung des BFM wurde dieser Mangel behoben.
- Unterlassungen in den Verfahren: Bei diesen beiden Verfahren gingen die Anhörungen teilweise zu wenig in die Tiefe, zudem unterblieben notwendige weitere Abklärungen.