Beim Beichten im Web fehlt die Kirche, der Beichtstuhl, das Gespräch unter vier Augen und ein Beichtvater. Aber wer braucht das dann? Ein Interview mit Kirsten Maier, die das Phänomen untersucht hat.
Ich müsste es längst wissen: im Internet gibt es alles. Aber ganz ehrlich, ich hätte nicht gedacht, dass Beichten im Netz populär ist und dazu auch noch Spass machen soll. Als wir in der Primarschule vor der Erstkommunion dazu verpflichtet wurden, auf diesem seltsamen roten Beichtstuhl platz zu nehmen, fand ich das nicht besonders lustig und hab mir lange überlegt, was ich dem Pfarrer erzählen soll.
Schliesslich waren es diese beiden Geständnisse: «Ähm… also… diä dick gross schwarz Spinne ide Fabienne ihrem Turnsack isch vo mir. Aso eigentlich vo üsem Estrich.» und «Wenn ich mit minere Schwöster Sackgeld tusche, denn bechunnt sie alli goldige 5erli und ich alli sielbrige 5(0)erli. Ich han ihre gseit die goldige sind viel wertvoller. Isch das sehr gemein?» Zugegeben, da hört man vermutlich das Landmaitli aus mir sprechen, das weder wirklich wusste, was eigentlich Sünden sind noch die Worte des Pfarrers verstand und glaubte «Ich spreche dich los von deinen Sünden» bedeutete, dass die Spinne weiter in Fabiennes Turnsack wohnen dürfe. Und das fand ich gut.
Bei der Onlinebeichterei funktioniert das etwas anders. Beichten im Web ist immer noch Beichten, nur fehlt die Kirche, der Beichtstuhl, das Gespräch unter vier Augen und ein Beichtvater. Aber wer braucht das noch, wenn eine grosse Community mindestens genau so gut entscheiden kann, ob die Sünden nun vergeben werden oder nicht?
In der gestrigen Ringvorlesung zur Transformationen der Religion durch die Digitalen Medien war unter anderem auch Beichten ein Thema. Die Studentin der Medienwissenschaften Kirsten Maier hat die Veränderung des Beichtcharakters in der digitalen Gesellschaft untersucht und folgendes dabei herausgefunden.
Kirsten, hast du uns ein Beispiel?
Klar: Beichthaus.com. Das ist eine Seite, auf die sich ein Jedermann verewigen kann. Ein „Post“ und die Beichte ist vollendet. Diese einfache Art und Weise von seiner «Last» loszukommen, bewegt viele Menschen dieser Welt daran teilzunehmen. Es ist der Reiz, auf sich und seine Beichte aufmerksam zu machen, und wie erzielt man diese besser, als durch schockierende Beiträge. Auf Beichthaus besteht die Möglichkeit direkte Kommentare unter die Beichte zu setzen. Ob diese nun die angestrebte Absolution beinhalten, oder doch nur dem Zeitvertreib nachkommen, ist von Kommentar zu Kommentar unterschiedlich. Jedoch ist der Trend hin zur wahrlosen Meinungsäusserung deutlich zu vermerken. Das oberste Ziel derartiger Beichtseitennutzer, ist einer Gemeinschaft anzugehören und somit von anderen Nutzern anerkannt und erhört zu werden. Die direkte Kommentarfunktion der Beichten, eröffnet für Nutzer, die diese Seite aus reinem Zeitvertreib aufrufen, eine grosse emotionsgeladene Angriffsmöglichkeit. Die Technologie schafft somit eine neue Art von Verletzlichkeit. Diese Angreifbarkeit ist für manche Nutzer ein Spiel und dennoch gibt es die anonymen Beichten, welche auf ernsthaften Zuspruch und gegebenenfalls Absolution hoffen. Neben der Funktion der direkten Beteiligung an der Beichte, ist die Seite gefüllt mit Werbung, Verlinkungen und kurzen Werbespots. Daran wird deutlich, dass die Verkaufslogik mit in das Geschehen eingebaut wird. Dennoch haben diese Werbeblöcke wohl kaum das Geringste mit dem eigentlichen Ziel dieser Seite zu tun. So stellt sich einem die Frage, ob der gesamte Aufbau von Beichthaus.com überhaupt eine seriöse ernstzunehmende Facette an sich hat.
Du hast vorhin in deinem Vortrag das Stichwort «Gemeinsam einsam» genannt. Was meinst du damit?
Die Glaubwürdigkeit und Authentizität solcher Besucher und Nutzer von Onlinebeichtseiten, wird im Wetteifer und der Anonymität im Netz in Frage gestellt. Eine traurige Tendenz ist, dass persönliche Bekenntnisse, nicht mehr innerhalb der sozialen Grenzen von Familie, Freundschaft oder Kirche abgelegt werden, sondern auf Internetseitenzurückgegriffen wird. Die Überlegung, ob die heutige Gesellschaft persönliche Gespräche und Auseinandersetzung mit einem Gegenüber meidet, erhält einen Bedeutungszuwachs. So kann man die legitime Behauptung aufstellen, dass die heutigen modernen Priester in der Gesellschaft 2.0 die Beichthauskommentatoren sind. Der neue Beichtstuhl, der Computer?
Kann man sagen, dass das Beichten aufgrund der Onlinebeichte an Persönlichkeit und Wichtigkeit eingebüsst hat?
Wenn man sein Gewissen im Netzt bereinigen möchte, erwartet bzw. bittet man förmlich um Zuspruch, Aufmerksamkeit und setzt sich dabei der Wertung völlig Fremder aus. Die Nutzer derartiger Online Beicht-Foren, bekennen sich im Netz und denken, auf derartige Weise ihre Probleme von sich schieben zu können und sich zu lösen. Das Internet ermöglicht der Gesellschaft immer und überall ihre Gefühle, Geheimnisse und ihren Frust zu verewigen und zu hinterlassen. Die Nivellierung der Beiträge, durch die aufkommende Unverbindlichkeit, ist von Person zu Person, beziehungsweise Beichte zu Beichte unterschiedlich ausgeprägt. Fakt ist, dass es zu einer Nivellierung der Qualität, Ernsthaftigkeit und infolgedessen der Glaubwürdigkeit, von Beichten, im Laufe der Verlagerung von der Kirche auf das Internet gekommen ist. Die verschiedenen Intentionen, welche bei derartigen Beicht-Foren im Vordergrund stehen, kennzeichnen sich durch die Beichtformulierung. Dieses Spektrum der Ziele vollstreckt sich von dem Ziel der Absolution und Verständnis, über Mitgefühl, Zuspruch und Aufmerksamkeit, hin zum banalen Erleichterungsgefühl und der Kritik bzw. Ironie.
Vielen Dank, Kirsten Maier!