Bekehrt. Ein bisschen wenigstens.

Ach, Twitter. Gross waren die Vorbehalte von @philipploser bei der Schulung in der TagesWoche. Heute ist er Fan. Eigentlich hätte das eine Geschichte über eine mir unbekannte Frau namens @serscher werden sollen. Sie hat ein Profil auf Twitter und ich folge ihr. @serscher sollte mir in dieser Geschichte als Bespiel dienen, für alles, was ich […]

Ach, Twitter. Gross waren die Vorbehalte von @philipploser bei der Schulung in der TagesWoche. Heute ist er Fan.

Eigentlich hätte das eine Geschichte über eine mir unbekannte Frau namens @serscher werden sollen. Sie hat ein Profil auf Twitter und ich folge ihr. @serscher sollte mir in dieser Geschichte als Bespiel dienen, für alles, was ich den Internettypen der TagesWoche (dem, dem und dem) vor der Twitterschulung an den Kopf geworfen hatte.

Seit ich ihr folge, ist sie ein Teil meines Lebens geworden. Gestern zum Beispiel hatte sie eine Prüfung, für die sie mehrheitlich in ihrem Lieblingscafé im Gundeli, dem Nasobem, gelernt hat. @serscher schaut regelmässig den Tatort (und verrät auch mal das Ende – hey, es gibt Leute, die den Tatort zeitversetzt schauen!) und schleicht sich des Nachts im Pyjama das Treppenhaus hinunter, wenn ihr eine gute Seele (sie hat glaub eine betagte Nachbarin) ein Päckchen Weihnachtsgutzi in den Briefkasten legt. Ich weiss auch Bescheid, wenn @serscher eine Reise durch die Schweiz unternimmt (und mit wem), wenn sie einen Tag frei nimmt, wenn es ihr gut oder auch nicht so gut geht. Ich weiss, welche Bücher sie liest (sie hat einen Twitter-Lesezirkel ins Leben gerufen), ich weiss welche Fernsehsendungen sie wann schaut und was sie dazu isst; ich weiss manchmal sogar, wann sie ins Bett geht.

Und ich bin dieser Frau noch nie im Leben begegnet.

@serschers Leben, das ich nun interessiert (und ungefragt) auf Twitter verfolge, wäre der Einstieg für eine Geschichte über den überall hochgelobten Kurznachrichten-Dienst und dessen Relevanz gewesen.

Circlejerk

Es wäre eine böse Geschichte geworden, in der ich auch über die Journalisten und ihre unerträgliche Selbstverliebtheit geätzt hätte. Es ist ja nicht so, dass man selber einen Account braucht, um mitzulesen. Und da im Frühling des vergangenen Jahres plötzlich die Hälfte aller Schweizer Journalisten auf Twitter war, gab es auch einiges zu sehen. Die Kollegen Alan Cassidy (@a_cassidy) und Markus Prazeller (@prazeller) prägten für die Selbstbeweihräucherung der Kollegen, die besonders gut am Samstag zu beobachten ist (Sonntagsmedien olé), den schönen Begriff #circlejerk.

Was mir damals aber noch mehr auf den Geist ging als die Selbstbespiegelung der Journalisten (die mir nicht ganz fremd ist), war das Getröte der 2.0-Evangelisten. Dieser kleinen Gruppe von Besserwissern, die uns Printjournalisten den sicheren Tod prophezeiten (und das häufig). Aarrg. Das nervte!

Man merkt: Ich war nicht frei von Vorbehalten, als ich von den Kollegen genötigt wurde (wir arbeiten ja bei einem Medium der Zukunft) unter @philipploser selber bei Twitter mitzumachen.

Und seither, nun ja, find ich das alles nicht mehr so schlimm. Eher noch: Ich finde es richtig gut.

Einordnung, Analyse

Wer den richtigen Accounts folgt, ist besser informiert als jeder Leser einer hochwertigen Tageszeitung. Und das will meini etwas bedeuten. Wenn ich am Morgen meine Timeline durchscrolle, bieten mir die New York Times, der Guardian oder der Economist (und natürlich alle wichtigen Schweizer Medien) einen Überblick über die Welt, wie ich ihn davor nicht gehabt habe.

Twitter ist also Analyse, egal wie widersprüchlich das tönt. Aber eben auch mehr. Twitter ist lustig (zum Beispiel während den Spielen des FCB) und Twitter ist ein erstklassiger Nachrichtendienst. Wenn in der Wandelhalle des Bundeshauses Filippo Leutenegger (der twittert auch, aber nicht selber) in ungezählten angedeuteten Halbsätzen über die Zukunft der Basler Zeitung orakelt und in der gleichen Wandelhalle jemand mitbekommt, wie der Name Tito Tettamanti fällt, dann weiss man das dank Twitter ziemlich schnell – und kann selber nachfragen. Die Zukunft der Basler Zeitung wurde am Mittwoch in Zürich verkündet, die Mitarbeiter wurden bewusst nicht informiert. Doch das Verheimlichen nützte nichts: Auf Twitter wurden die neuesten Entwicklungen von einer ganzen Schar von Leuten live verbreitet. Die Zusammensetzung des Verwaltungsrats, die dunklen Flecken der neuen Besitzer, die rüde Sprache an der Medienkonferenz – alles auf Twitter.

An diesem struben Mittwoch, dem Tag der Bundesratswahlen, dem Tag des erneuten BaZ-Verkaufs, hatten Mitglieder von Twitter einen beachtlichen Wissensvorsprung. Und das ist es ja, was Journalisten am liebsten mögen.

So. Und jetzt hoffe ich, dass @serscher ihre Prüfung gut überstanden hat.

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