Bekenntnisse eines Ex-Art Guards

10-Stunden-Tage, Marsriegel-Overkills, abschätzige Galeristen und latentes Sprechverbot: Art Guard ist so ungefähr das Niedrigste, was man an der Art sein kann. Eine Abrechnung. Als junger Mensch braucht man Geld. Wenn man Kunstgeschichte studiert, sowieso. Also denkt man sich: Wieso nicht mal an der Art Basel arbeiten? Der Name ist gross, die Plakate fancy, die Angestellten […]

Ein guter Art Guard sagt nur das Nötigste: «Bitte nicht anfassen!»

10-Stunden-Tage, Marsriegel-Overkills, abschätzige Galeristen und latentes Sprechverbot: Art Guard ist so ungefähr das Niedrigste, was man an der Art sein kann. Eine Abrechnung.

Als junger Mensch braucht man Geld. Wenn man Kunstgeschichte studiert, sowieso. Also denkt man sich: Wieso nicht mal an der Art Basel arbeiten? Der Name ist gross, die Plakate fancy, die Angestellten von der Sorte, die auch nach fünf Gin Tonics immer noch aussehen, als kämen sie direkt von einem Schwarzwälder Spa. So sah ich das jedenfalls, als ich mich vor rund fünf Jahren zum ersten Mal bei der Art als Guard beworb. Ich hatte eine etwas perverse Faszination mit dem ganzen Betrieb – ein grandios einflussreiches Unternehmen, das Menschen bedient, die mehrere Millionen für schillernde Delfinskulpturen ausgeben. Schon beeindruckend.

Ich kriegte die Stelle, also hörte ich mir die Instruktionen an, lernte 70 Werke auswendig, zog mir die Uniform über und stellte mich in die Unlimited-Halle – für zehn Stunden und 50 «Please don’t touch» am Tag. Nach dem ersten Wadenkrampf dachte ich: Vielleicht gibt es einen Grund, wieso die Angestellten hier alle so fit aussehen. Vielleicht gibt es hier Menschen im Untergrund, die in den niederen Maschinenräumen unter schauderhaften Bedingungen die glänzende Kunst-Maschinerie instand halten.

Vielleicht bin ich einer von denen.



Bei Ai Weiwei ist Anfassen glücklicherweise erlaubt.

Man hört lauter Sätze wie «Honey, ist das nicht bezaubernd» und «Es hat was» und «Brilliant!» und schaudert. (Bild: Hans-Jörg Walter)


Am stärksten etabliert sich dieses Gefühl vor der Vernissage: In jenen paar Super First Choice Special Blaublut VIP-Tagen kommen die schönsten Frauen, die extravagantesten Herren, die hochmütigsten Despoten vorbei, die nur verächtlich mit der Hand wedeln, wenn man sie darauf aufmerksam macht, dass auch sie die Installation nicht berühren dürfen. Man hört lauter uninteressante Sätze wie «Honey, ist das nicht bezaubernd» und «Es hat was» und «Brilliant!» und schaudert: Diese Menschen sitzen an den goldenen Hebeln des globalen Kunstmarkts. Diese Menschen bestimmen, welche Künstler Erfolg haben und welche nicht. Diese Menschen sind der Grund, wieso man hier 10 Stunden am Tag riesige Darmskulpturen beaufsichtigen muss.



Die typische Art Guard-Haltung. Wer die Hände in den Hosentaschen hat, wird verwarnt.

Die typische Art Guard-Haltung. Wer die Hände in den Hosentaschen hat, wird verwarnt. (Bild: Hans-Jörg Walter)

Eiserne Schweigepflicht

Und diese Menschen wollen die Kontrolle behalten: Die Koordinatoren schleichen stets unauffällig herum oder engagieren Spitzel, die vorbeikommen und inkognito heikle Fragen stellen. Sobald man was Falsches sagt, wird es direkt der Zentrale gemeldet und man wird verwarnt. Wenn jemand journalistisches Interesse bekundet, muss man als Guard sagen: «Dazu darf ich keine Stellung beziehen». Obwohl man dafür bezahlt wurde, jedes Werk und seinen Inhalt bis ins Detail auswendig zu lernen, soll man nur bei banalen Fragen Auskunft geben. Im günstigsten Fall nur, wenns um die Standorte der Toiletten geht. Seit ein paar Jahren ist vertraglich festgelegt, dass man der Presse keine Auskunft geben darf. Wer sich nicht daran hält, wird das nächste Jahr nicht mehr eingestellt oder gleich rausgeworfen.

Von Zeit zu Zeit wird jemand aus der Verwandtschaft der Zentrale eingestellt, der trotz Guard-Status dann gewisse Annehmlichkeiten wie die Teilnahme am schmucken Galeristenbrunch am Montagmorgen geniesst und mit triumphierendem Grinsen an den Spalier stehenden (auch so eine alberne Unlimited-Tradition: Am Montag vor der Eröffnung der Super VIP-Tage müssen alle Guards ein paar Stunden lang Spalier stehen für die Galeristen, die in die Halle 1 stöckeln, um sich einen Stock höher Rühreier aus Silberschalen reinzuziehen) Guards vorbeischwebt.




Sobald das Fussvolk übernimmt, wird man nach der «Nicht Anfassen!»-Aufforderung nicht mehr mit irrem «Wissen Sie eigentlich wer ich bin?»-Blick diskriminiert. (Bild: Hans-Jörg Walter)

Pause im Container

Um die Guards bei Laune zu halten und dafür zu sorgen, dass sie nicht umkippen oder Amok laufen, gibt es die Guards-Räume. Karge Container mit billigen Festbänken, gewaltigem Schokoriegelvorrat und notorisch kaputten Kaffeemaschinen. Hier darf man sich in der einstündigen Mittagspause oder zwischendurch entspannen. Vorausgesetzt man wird von einem Springer abgelöst, der den Sektor für den man eingeteilt ist, für kurze Zeit bewacht. Das funktioniert leider selten, weil die wenigen Guards, die in der Stunde als Springer fungieren sollten, lieber selber Pause machen, ihre schmerzenden Glieder pflegen und mit Saalblatt-Auffüll-Argumenten im Guardraum bei üblem Kaffee und Marsriegel rumhängen.

Man steht also da und stemmt sich nach den fünf pausenlosen Stunden gegen den sich nähernden Schwächeanfall oder kämpft gegen den Brechreiz an, der dank letzter Gratis-Cüpli-Nacht hartnäckig in der Magengegend rumlungert und nur darauf wartet, sich in eine der ausgestellten Vasen eines chinesischen Künstlers mit unaussprechlichem Namen zu entladen. Im Marsriegel-Delirium träumt man vom Aufstand: Alle Guards verstecken sich bei Sonnenuntergang in der Darmskulptur und schlagen später alles kurz und klein.




(Bild: Hans-Jörg Walter)

Entspannte Tage mit dem minderen Fussvolk

Glücklicherweise wird’s gegen Ende der Woche meist angenehmer. Leonardo DiCaprio und die reichen Sammler sind abgereist, viele Werke sind verkauft, nur noch das mindere Fussvolk besetzt die Halle. Die Art ist so gut wie vorbei, man muss öfters sein «Nicht Anfassen!»-Mantra runterbeten, aber immerhin wird man dabei nicht mit irrem «Wissen Sie eigentlich wer ich bin?»-Blick diskriminiert (Nein, und es ist mir auch scheissegal. Ausser du bist Kanye West oder Marc Spiegler. Ein Guard hat die beiden vor ein paar Jahren mal tatsächlich nicht erkannt und ihnen gesagt, sie sollten jetzt gefälligst aus der Halle verschwinden, weil sie gleich zumache. Seither muss man nicht mehr nur die Kunstwerke, sondern auch die wichtigsten Gesichter der Art studieren). Man gönnt sich längere Pausen und traut sich auch wieder ab und zu, die Menschen in der Halle nach ihren Tinder-Accounts abzusuchen, ohne gleich Angst haben zu müssen, von einem der Management-Sperbern verpfiffen zu werden.

Die gutmütigen Guard-Instruktorinnen, die alles ausbaden müssen und gegen Ende der Woche nervöse Zuckungen in der Augengegend entwickelt haben, da sie ständig quer durch die ganze Halle rennen, weil irgendjemand wieder die in superempfindliche Lämmchenhaut eingefasste Säule angefasst hat, pressen jeden Abend ein abgekämpftes «Danke, das habt ihr toll gemacht heute» hervor und schleppen sich zurück ins Manager’s Office. Manchmal sagen sie auch gar nichts und man möchte ihnen eine Massage oder einen starken klebrigen Drink ausgeben, wenn sie nicht noch bis Mitternacht irgendwelche abstrusen Galeristenwünsche erfüllen müssten.




(Bild: Hans-Jörg Walter)

Nah am Zusammenbruch

Wenn man sich richtig anstellt, weiblich, nett und lächelnd und möglichst blond ist, ist es möglich, dass man vom gewöhnlichen Art Guard zum Special Art Guard ernannt wird: Dann darf man den 100 wichtigsten Kunden einer beteiligten Bank beim Essen in der Unlimited-Halle zuschauen, während man dabei möglichst unauffällig die ohnehin kaum beachteten Werke bewacht. Zum Nachttarif und mit Schweigepflicht.

Am Ende der Art ist man dem Zusammenbruch nahe. Das Marsriegel-High hat seinen Reiz verloren, die Füsse schmerzen und gegen die nie gewaschene Uniform hilft kein Deo der Welt mehr. Man ist erschöpft, man hat Ausschlag, man schwört sich, diese stumpfsinnige Kacke nie wieder zu machen.




(Bild: Hans-Jörg Walter)


Das wissen die Verantwortlichen natürlich genau. Und haben ein ausgefuchstes Lockmittel parat: Am letzten Abend werden alle Guards an einen Galeristen-Apéro eingeladen, um die Aggressionen, die sich in der vergangenen Woche angestaut haben, so weit abzuschwächen, dass man sich nächstes Jahr wieder bewirbt. Nach der feuchtfröhlichen Veranstaltung kommen die Manager, schütteln einem persönlich die Hand und bedanken sich mit eisernem Zahnpastalächeln. Schön wars gell, vielen Dank, ohne euch wäre das alles nicht möglich gewesen. Habt ihr fein gemacht. Bis nächstes Jahr!

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