Belastungstest in der Wärme

Nicole Büchler eröffnet am Freitagabend beim Diamond-League-Meeting in Doha die Freiluftsaison der besten Schweizer Stadion-Leichtathletinnen und -Leichtathleten.

Nicole Büchler startet in Doha in die Freiluft-Saison (Bild: sda)

Nicole Büchler eröffnet am Freitagabend beim Diamond-League-Meeting in Doha die Freiluftsaison der besten Schweizer Stadion-Leichtathletinnen und -Leichtathleten.

Die Stabhochspringerin wagt nach einer überstandenen Diskushernie eine erste Standortbestimmung.

«Den Rücken spüre ich nicht mehr, aber die Hüfte macht mir etwas zu schaffen», sagte die Schweizer Rekordhalterin vor dem Abflug an den Persischen Golf. Schon wieder eine neue Verletzung? «Nein, nein», gab sie Entwarnung. Der Körper verhalte sich wie eine Kette, alles hänge zusammen. Deshalb sei es oft schwer zu diagnostizieren, warum diese oder jene Stelle schmerze. «Aber ich fühle mich fit genug und bereit für einen Belastungstest im Wettkampf», betonte sie. «Das Niveau des Vorjahres habe ich allerdings noch nicht erreicht.» Ihre Zielsetzung ist denn auch allgemein gefasst: «Ich will gesund aus der Wärme zurückkommen. Die überquerte Höhe allein sagt in meiner Disziplin nicht aus, wie gut du gesprungen bist. Das Augenmerk lege ich auch auf die technischen Details.»

Vor einem Jahr hatte die Seeländerin die Saison in der WM-Stadt 2019 mit einem Paukenschlag eröffnet. Sie hievte ihren Freiluft-Rekord auf 4,78 m und knüpfte somit nahtlos an die Hallensaison an, die mit dem 4. Rang an den Indoor-Weltmeisterschaften und übersprungenen 4,80 m ein erfolgreiches Ende genommen hatte. Damals lief noch alles nach Plan – bis Mitte Juni. Zwar folgte mit dem Gewinn des Olympia-Diploms in Rio de Janeiro noch unerwartet der Karriere-Höhepunkt («Für den 6. Platz hätte ich vor der Saison unterschrieben»), aber primär gab ihre Gesundheit mehr zu reden als die Resultate: Oberschenkel-Zerrung in Turku, EM-Verzicht vor Ort als Medaillenkandidatin in Amsterdam, um die Olympia-Teilnahme nicht zu gefährden, Zweifel bei der Ankunft in Rio de Janeiro (grünes Licht erst nach dem Abschlusstraining).

Auch die diesjährige Hallensaison nahm einen unbefriedigenden Verlauf. Zwar sicherte sich Nicole Büchler mit konstanten Leistungen und einer Saisonbestleistung von 4,61 m den Sieg in der World Indoor Tour, einer Meeting-Serie des Weltverbandes IAAF, und damit einen direkten Startplatz an der Hallen-WM 2018 in Birmingham. Aber Ende Februar wurde bei ihr eine Diskushernie diagnostiziert, weshalb die Schweizerin die Saison abrupt abbrechen musste. Die Hallen-EM in Belgrad, wo sie zu den Medaillenkandidatinnen gehört hätte, fand Anfang März ohne Nicole Büchler statt.

Die Kämpferin aus Biel, die bereits in der Rhythmischen Gymnastik internationales Niveau erreicht hatte, liess und lässt sich nicht entmutigen. 20 Jahre Leistungssport haben die Athletin geprägt, sie weiss sich zu arrangieren. Sie konnte zwar während mehrerer Monate nicht uneingeschränkt trainieren, aber sie trainierte gleichwohl immer. Denn Trainings, bei denen sie sich mit dem Stab in die Höhe katapultiert, bilden die Ausnahme. Diese Einheiten stehen nur zweimal pro Woche im Programm. Der Rest wird in das Drumherum investiert: In die Schnelligkeit, die Kraft im Rumpf und Oberkörper, in die Beweglichkeit, in technische Details und vieles mehr. «Die Arbeit hört nie auf. Es gilt immer kleinere Details zu verbessern», betonte Nicole Büchler. Wenn eine Körperstelle schmerzt, kann der Fokus auf andere Muskelgruppen gelegt werden.

Selbst ist die Frau

Die routinierte Stabspringerin schreibt sich ihre Trainingspläne selber und trainiert auch alleine in Magglingen. Oft steht sie solo in der Halle. Es sei denn, die hohen Sprünge stehen an. Dann kontrolliert ihr Ehemann und Stabhochspringer Mitch Greeley, der einem 100-Prozent-Job nachgeht, diese Einheiten. «Ich liebe diese Freiheit», schwärmt Nicole Büchler. «Ich passe meinen Trainingsplan oft spontan an, je nach Befinden. In einer Gruppe müsste ich mehr Rücksicht nehmen, wäre weniger flexibel und würde vielleicht Sachen machen, die mir nicht gut tun.»

Die Verletzungen der vergangenen neun Monate haben bei der 33-Jährigen keine Rücktritts-Gedanken aufkommen lassen. Sie glaube nicht, dass der Zahn der Zeit so stark an ihrem Körper nage, dass nun Schluss sein müsse. «Eine Oberschenkelzerrung kann auch eine 20-Jährige einfangen», hielt sie fest. Mit der gängigen Meinung, ein Sportler müsse auf dem Höhepunkt abtreten, ist sie überhaupt nicht einverstanden. «Das finde ich einen Blödsinn. Im Leben des Sportlers zählt nicht nur das letzte Jahr. Ich springe sehr gerne, darum mache ich weiter», betonte sie und kam auf Simon Ammann und Roger Federer zu sprechen. «Toll, wie die beiden trotz ihrer Erfolge immer weitermachen.» Auch Ammann, dem es diesen Winter nicht nach Wunsch lief, habe nichts zu verlieren. «Seine Medaillen verlieren deswegen nicht an Strahlkraft», meinte die um zwei Jahre jüngere Athletin als die Aushängeschilder des goldenen Jahrgangs 1981 – von denen erst Fabian Cancellara zurückgetreten ist.

Der Sommer 2017 bringt mit den Weltmeisterschaften in London und dem Diamond-League-Final in Brüssel zwei Höhepunkte. «Das Niveau wird sehr hoch sein», prophezeit Nicole Büchler. Von den weltbesten Springerinnen trat nach Rio einzig die Brasilianerin Fabiana Murer zurück. Die Saison so richtig lancieren will die LCZ-Athletin in rund einem Monat mit den Meetings in Athen, Rom, Oslo, Stockholm und der Team-EM. Nach einer Pause folgen dann zunächst London als Diamond-League-Meeting, Luzern und die Schweizer Meisterschaften. Läuft alles nach Plan, steht Nicole Büchler im WM-Final, fliegt bei Weltklasse Zürich durch die Halle im Hauptbahnhof und startet beim Diamond-League-Final. Um nach Belgien reisen zu dürfen, muss sie sich unter den besten acht etablieren. Da der Diamond-League-Final dieses Jahr in Brüssel stattfindet, kann sie nicht auf eine Wildcard der Organisatoren in Zürich zählen.

Nächster Artikel