Marc Wilmots ist manchmal nicht um seinen Job zu beneiden. Der belgische Nationaltrainer soll ein junges, hochtalentiertes Team möglichst zum EM-Titel führen – und die Kritiker zum Schweigen bringen.
Als Spieler nannten ihn die Fans auf Schalke aufgrund seiner robusten Spielweise und der Einsatzbereitschaft «Willy, das Kampfschwein». Manchmal, wenn er sich ungerecht behandelt fühlt, grätscht Wilmots auch heute noch dazwischen, auf verbaler Ebene. Er sprach nach dem 3:0 gegen Irland von «Manipulation der öffentlichen Meinung». Dabei hatte er eine flämische Zeitung im Visier, die seiner Meinung nach seit vier Jahren eine Privatfehde mit ihm austrage. Offenbar darum, weil sich Wilmots weigert, «Het Laatste Nieuws» Exklusiv-Interviews zu geben.
Die Auftaktniederlage gegen Italien veranlasste aber nicht nur die genannte Zeitung, schärfere Töne anzustimmen. Es war davon zu lesen, dass Wilmots seine Mannschaft mit angezogener Handbremse spielen lasse und er ihr in seinen vier Jahren als Chefcoach keinen Mehrwert verschafft habe. Wer derart viele überragende Individualisten wie die Premier-League-Akteure Eden Hazard, Kevin de Bruyne, Romelu Lukaku, Moussa Dembélé oder den Champions-League-Finalisten Yannick Carrasco im Team habe, müsse automatisch Erfolg haben, lautete die landläufige Meinung. Manche Experten trauten es Belgien zu, an der EM in Frankreich eine tragende Rolle zu spielen. Entsprechend hoch ist die Erwartungshaltung, die TV-Zahlen sind es ebenfalls. Nach Quotenrekord in der ersten Partie verfolgten über drei der elf Millionen Einwohner (Marktanteil von 86,6 Prozent) die Leistungssteigerung gegen Irland am letzten Samstag.
Der erste Auftritt gab ausschliesslich den Kritikern recht. De Bruyne und Lukaku zogen gegen Italien einen schwachen Tag ein. Also begann Wilmots, die Öffentlichkeit zu verwirren, indem er sie glauben machte, die beiden auszuwechseln. «Ich bluffte», sagte er. «Die Spieler wussten, wer spielt. Aber das haben wir privat gehalten.» Diesmal gaben das Resultat und die Leistungen der unter Beschuss geratenen Stars dem Coach recht. «Das war das Tor meiner Strategie», kommentierte Wilmots das 1:0 durch Lukaku nach einem Konter über De Bruyne vergnüglich.
Ein offenbar nicht unwesentlicher Input zur Verbesserung war aus dem Kreis der Mannschaft gekommen. Auf Initiative von Captain Hazard und vom 37-jährigen Jean-François Gillet, dem dritten Goalie ohne Chance auf Einsatzminuten, traf sich das Team im Anschluss an das 0:2 gegen Italien zu einer internen Aussprache. «Das ist gesund. Wenn ich Captain dieser Equipe gewesen wäre, hätte ich das nach der ersten richtigen Klatsche in vier Jahren genau gleich gemacht», lobte Wilmots die Eigeninitiative, die offenbar reinigende Wirkung hatte.
Womöglich war auch Wilmots‘ Anspannung grösser als zugegeben. «Ich kann mit Kritik leben, das berührt mich nicht», hatte der Coach der «Roten Teufel» immer wieder betont. «Wenn Leute negativ sind, so interessiert mich das nicht.» Seine harsche Reaktion auf die schriftlichen Voten aus der Heimat fiel ziemlich widersprüchlich aus. Und der Jubel nach dem befreienden Führungstor gegen Irland deutete auch eher darauf hin, dass die Last ziemlich schwer war. Lukaku klärte auf: «Eigentlich wollte ich zu meinem Bruder Jordan rennen, aber der Coach stellte sich in den Weg. Dann gab es einen ziemlichen Zusammenprall. Ich bin ja bulliger als er», sagte der 1,91 m grosse und 94 kg schwere Stürmer von Everton lächelnd.
Diese Wucht sollen nun auch die Schweden zu spüren bekommen. Die Taktik ist klar. «Auf Unentschieden können und wollen wir nicht spielen. Mit diesem Team, diesen Spielern können wir gar nicht blockweise hinten stehen», sagte Wilmots. Es folgte der nächste genüssliche Seitenhieb. «Sonst wird mich die Presse in die Wüste schicken wollen. Aber ich halte durch, ich bin ja immer noch da.»