Menschen bestrafen vor allem dann, wenn sie sich benachteiligt und übervorteilt fühlen. Diese Ungleichheit motiviert mehr zur Strafe als das blosse Bedürfnis, es dem Übeltäter heimzuzahlen.
Das haben zwei Forscherinnen vom University College London (UCL) in einem Computer-Experiment mit 560 Probanden herausgefunden.
Diese tolerierten es, wenn ihnen ihr Spielpartner eine geringe Geldsumme wegnahm – solange er hinterher weniger oder maximal gleich viel Geld besass wie sie. Hatte der Dieb aber am Ende mehr Geld, entschieden sich die Probanden mehrheitlich dafür, ihn zu bestrafen.
Dieses Ergebnis zeige, dass die erlittenen Verluste nicht die Hauptmotivation für eine Strafe seien. Stattdessen vergleiche das Opfer seine Verluste mit dem Profit des Betrügers, bevor er sich für oder gegen eine Strafe entscheide, berichten die Wissenschaftlerinnen im Fachmagazin „Biology Letters“.
Die Fragestellung lautete: Stellen Sie sich vor, ein Betrüger prellt Sie um zehn Euro. Würden Sie ihn bestrafen, weil Sie nun zehn Euro ärmer sind oder würden Sie dies nur dann tun, wenn der Betrüger dadurch mehr Geld hätte als Sie?
Verlust nicht treibende Kraft
„Wir zeigen, dass Menschen vor allem dann strafen, wenn die Betrüger am Ende besser dastehen als sie selbst“, erklärt Erstautorin Nichola Raihani vom UCL. Dies widerspreche allerdings der landläufigen Ansicht. Denn nach dieser diene eine Strafe vor allem dazu, es dem Gestraften mit gleicher Münze heimzuzahlen.
Der Mensch unterscheidet sich damit deutlich von den wenigen Tieren, die Artgenossen strafen. „Bei ihnen ist höchstwahrscheinlich nur der eigene Verlust die treibende Kraft“, erklären die Forscherinnen. Das könne unter anderem daran liegen, dass es mehr Intelligenz erfordere, den jeweiligen Profit des Täters mit der eigenen Situation zu vergleichen.
Für den Menschen sei offensichtlich vorteilhafter, nicht immer zu strafen. „Eine mögliche Erklärung ist, dass Strafe in einer Gesellschaft nur dann auf Dauer kooperatives Verhalten sichert, wenn die Strafe auch als fair empfunden wird“, schreiben Raihani und ihre Kollegin Katherine McAuliffe von der Harvard University in Cambridge.
Akteure wurden um 20 Cent geprellt
An dem Experiment nahmen 560 Männer und Frauen zwischen 16 und 69 Jahren teil. Die Hälfte von ihnen nahm die Betrügerrolle ein, die andere die des Akteurs. Die Akteure erhielten zu Beginn jeweils 70 Cent, die Betrüger entweder 10, 30 oder ebenfalls 70 Cent. Die Betrüger konnten dem Akteur 20 Cent von seinem Anteil wegnehmen.
Je nach Variante hatten sie dadurch weniger, gleich viel oder aber mehr Geld als der Akteur. Im Gegenzug konnte nun der Proband entscheiden, ob er den Betrüger bestrafen wollte. Er musste dafür zwar 10 Cent investieren, dafür aber wurden dem Betrüger 30 Cent abgezogen.
Hatte der Betrüger nach dem Diebstahl weniger oder gleich viel Geld wie der Akteur, ging er meist straffrei aus. Weniger als 20 Prozent der Akteure entschieden sich dann für eine Strafe, wie die Forscher berichten.
Anders sah es dagegen aus, wenn der Dieb am Ende 90 Cent, der Akteur aber nur noch 50 Cent besass. Dann wählten fast 50 Prozent der Akteure die Option der Bestrafung. „Wenn der Betrug die Akteure benachteiligte, motivierte sie dies eher dazu, den Dieb zu bestrafen“, schreiben Raihani und McAuliffe.