Boykottaufrufe der islamistischen Opposition und Klagen über Rechtsverstösse haben in Jordanien die erste Parlamentswahl seit Beginn des Arabischen Frühlings geprägt. Trotz der Versprechen des Königs, den Abgeordneten künftig mehr Befugnisse zu geben, war die Wahlbeteiligung verhalten.
Sie lag nach Angaben der Wahlkommission am späten Nachmittag bei gut 50 Prozent. Im Jahr 2010 – als ebenfalls die Muslimbruderschaft die Wahl boykottierte – waren es nach Abschluss der Abstimmung 53 Prozent.
Die Islamisten warfen der Wahlkommission eine Beschönigung der Zahlen vor und betonten, dass nach ihren Erkenntnissen die Wahlbeteiligung deutlich geringer sei als offiziell verkündet.
Beobachter meldeten bereits nach wenigen Stunden landesweit rund 60 Unregelmässigkeiten und Rechtsverstösse. Sie kritisierten unter anderem das massive Aufgebot an Sicherheitskräften in einigen Orten oder den versuchten Kauf von Wählerstimmen. Ministerpräsident Abdullah Ensur sprach hingegen vor einer „sauberen und fairen“ Abstimmung.
Die Schliessung der Wahllokale wurde um eine Stunde auf 20 Uhr Ortszeit (18 Uhr MEZ) verschoben, um mehr Bürgern die Möglichkeit zu geben, ihre Stimme abzugeben, wie ein Sprecher der Wahlkommission sagte. Die offiziellen Ergebnisse werden am Donnerstag erwartet.
Erste Abstimmung seit dem Arabischen Frühling
Für König Abdullah II. ist die erste Wahl seit den arabischen Massenerhebungen vor zwei Jahren ein grosser Reformschritt. Denn auch in Jordanien hatte es Massenproteste gegen das Herrscherhaus gegeben. Der Unmut der Bevölkerung erreichte aber längst nicht das Niveau wie in anderen Ländern, wo Herrscher gestürzt wurden oder Bürgerkriege ausbrachen.
Nun will der König den Volksvertretern etwas mehr Einfluss geben und dadurch seine Macht sichern. Die Abgeordneten haben künftig das Recht, den Regierungschef und die Mitglieder seines Kabinetts zu bestimmen. Allerdings soll dies in Abstimmung mit dem Herrscher geschehen, der bislang alleine den Ministerpräsidenten ausgewählt hatte.
Wahlboykott der Muslimbruderschaft
Der Muslimbruderschaft ging dieses Angebot nicht weit genug. Sie blieb bei der Entscheidung, an der Wahl nicht teilzunehmen. Die von der Bewegung gegründete Islamische Aktionsfront ist die populärste Partei in Jordanien. Sie begründet ihren Boykott damit, dass die Königstreuen durch das Wahlgesetz im Vorteil seien.
Ausserdem fordert sie eine Verfassungsänderung, die dem Parlament noch weitere Kompetenzen einräumt. Viele ihrer Anhänger sind Jordanier palästinensischer Herkunft. Sie stellen mit 60 Prozent inzwischen zwar die Mehrheit der Bevölkerung, sind aber politisch relativ machtlos und auch sozial oft schlechter gestellt.
Die Muslimbrüder kritisieren zudem, dass das Wahlsystem Jordaniens die städtischen und ärmlichen Gebiete, in denen sie stark sind, benachteiligt und die ländlichen Regionen bevorteilt. Mehr als zwei Drittel der sieben Millionen Jordanier leben in Städten.
Keine entscheidende Veränderung erwartet
„Protest ist keine Strategie“, erklärten einige der Jordanier bei der Abstimmung über die gut 1400 Kandidaten, die sich um ein Mandat für die kommenden vier Jahre beworben haben.
Beobachter gehen jedoch nicht davon aus, dass die Wahl die politische Situation in Jordanien – wo auch die Energiekrise und die Lage der syrischen Flüchtlinge für Zündstoff sorgen – entscheidend verändern wird.
Da die wichtigste Oppositionskraft nicht unter den Abgeordneten vertreten sein wird, hat das neue Parlament ausserdem schon jetzt an Legitimität verloren. Zudem wird auch künftig der König des Landes Regierungen abberufen und Parlamente auflösen können.