Berlinale 10: Belleville Baby

Mia Engberg montiert eine alte griechische Sage in die dokumentarischen Rekonstruktion eine Amour Fou. Als die griechischen Götter Orpheus gestatteten, seine Eurydike aus der Hölle zu holen, stellten sie eine Bedingung: Dass er die Geliebte zurückführt, ohne zurückzublicken und sie anzuschauen. Mia Engberg montiert in einer dokumentarischen Rekonstruktion eine Amour Fou. Ohne dass wir je […]

Mia Engberg montiert eine alte griechische Sage in die dokumentarischen Rekonstruktion eine Amour Fou.

Als die griechischen Götter Orpheus gestatteten, seine Eurydike aus der Hölle zu holen, stellten sie eine Bedingung: Dass er die Geliebte zurückführt, ohne zurückzublicken und sie anzuschauen. Mia Engberg montiert in einer dokumentarischen Rekonstruktion eine Amour Fou.

Ohne dass wir je ein Bild sehen vom Liebespaar, machen wir uns eines. Wir blicken zurück: Auf zehn Jahre entfernte Geschichte einer Liebe. Sie, Schwedin, ist inzwischen im Leben zu Fuss unterwegs, auf der Erde geblieben. Sie hat Kinder, ist Filmerin. Er, der Südfranzose,  ist aus dem Gefängnis entlassen worden und geht weiterhin seinem Job nach: Als Krimineller.

Du sollst dir kein Bildnis machen in der Liebe! Diesem Gesetz folgt die Schwedische Regisseurin Mia Engberg treu. Weder die Frau noch den Mann ihrer Liebesgeschichte kriegen wir zu Gesicht. Beide sind bloss über unsere Ohren in einem langen Telefongespräch miteinander verbunden.

Während die Aussenbilder der Vergangenheit, mal verschwommen, mal verhetzt, mal abseitig an uns vorbeiziehen, entsteht vor uns eine Bestandesaufnahme einer Nord-Süd-Achse Europas: Im Süden, in Marseilles, sind vierzig Prozent der Jugendlichen arbeitslos. Die Tür zur Kriminalität steht weit offen, und schliesst sich eben so rasch: Im Gefängnis. Im Norden bleibt noch eine müde Neugier, für die hoffnungslosen Realitäten dort unten.

Als es schliesslich zu einem Treffen kommen soll, von Orpheus und Eurydike, führt der Film ans offene Meer. Erneut wird eine Deutung der alten Sage versucht. Vielleicht wussten schon die griechsichen Liebenden, dass ihre Geschicht nur noch ein Ende brauchte.

Mia Engbergs Montage liefert ein deprimierendes Hörspiel. Sie liefert aber auch ein formal faszinierendes Bilderspiel. Weit über die verlorene Liebesgeschichte hinaus erzählt Engberg die beunruhigende Nord-Süd-Kluft. Hier die niedergelassene Künstler-Bohème, die im Norden Europas im Prekariat lebt, und dort die Kriminellen-Bohème im Süden, die aus dem Heer der Arbeitslosen täglich neu rekrutieren kann.

 

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