Jacques Rivette hat 1966 eine eindringliche Version der «Nonne» mit Anna Karina in Cannes abgeliefert. Diderot hat mit seinem Rom ein Meisterwerk der Aufklärung geschaffen. Warum muss der Roman in uneren Tagen neu auf die Leinwand? Weil der religiöse Fanatismus zunimmt. Weil Frauen neu über die religiöse Freiheit nachdenken? Weil die religiösen Machthaber überhaupt in Frage gestellt werden müssen. Weil eine grossartige Nonnendarstellerin zu entdecken ist?
Was nun Guillaume Nicloux bewegt haben mag, diesen grossen Stoff wieder auf die Leinwand zu bringen, bleibt er uns weitgehend schuldig. Er besticht mit einer athmosphärisch dichten Ausstattung. Er vertraut auf ein solides Schauspielerinnen-Ensemble, wobei Isabelle Huppert und Pauline Etienne hervorstechen. Aber wieso wird dieser flammendend Anklageschrift gegen die Bevormundung durch die Kirche der Zahn gezogen?
Der grosse Aufklärer Diderot entwickelt ein äusserst raffiniertes Netz der Unterdrückung, der Überwachung, der Bevormundung durch Glaubensboten. Er argumentiert gar nicht so sehr gegen den Glauben, als vielmehr gegen den Glauben, Glauben liesse sich mit Macht erzwingen, oder solle gar als Machtinstrument verwendet werden.
Diderot hat in der revolutionären Zeit ein flammendes Pamphlet gegen die Macht der Kirche geschreiben. Wer also heute diesen Roman verfilmen will, muss sich an der Wirkung messen lassen, den der Roman in seiner Zeit entwickelt hat. Das schafft der Film in einem Punkt unzweifelbar: Er ruft dazu auf, sich das Buch noch einmal zu Gemüte zu führen. Denn beim Lesen eines verzweifelten Tagebuches bleibt unser Haupterlebnisdie unmittelbare Teilnahme. Wieviel freiheitlisches Gedankengut im Buch versteckt ist, und dem Filmfehlt, merkt man allerdings erst, wenn man die weichgespülte Version auf der Leinwand sieht. Da fehlt eine ganze Auseinandersetzung mit dem Denken der Jetzt-Zeit.
Der erste Teil des Filmes folgt ganz dem Roman, wühlt auf. Die Qualen, die Simone erdulden muss, werden dennoch nicht annähernd so plastisch wie im Buch. Weil ihr Ziehvater sie verstösst, muss sie immerhin ins Kloster. Sie wird gemobbt, gefoltert, Hunger und Kälte ausgesetzt, und nur das Glück ihrer Herkunft, ihr richtiger Vater eben, lassen sie hoffen: Man bemüht sich um ihre Befreiung, erreicht aber vorerst nur eine Verschlimmerung ihrer Situation.
Was der Roman schafft, gelingt dem Film nur in Ansätzen. Die Nonne erzählt von sich. Auch im Film spricht sie von sich, eben, sie spricht nur. Dies eben dies markiert die Differenz der Literatur zum Film: Das Gelesene findet erst in unserem Kopf statt. Das Gesehene im Film tut das zwar auch – aber, die Kamera hat gegenüber demWort eben die Eigenschaft, dass sie betrachtet, wenn sie beschreibt. Sie schaut von aussen auf die Ereignisse. Das nimmt Simones Erlebnisbericht seine Brisanz. Das macht uns eher zu Zuschauern, als zu Beteiligten der Geschichte. Nicht zufällig sehen wir den Leser des Tagebuches, den Halbbruder der Nonne, nahezu unberührt beim lesen. Sein ganzer Kampf gegen die krichliche Obrigkeit ist ausgespart.
Trotzdem. Der Film ist grossartig ausgestattet. Isabell Huppert sorgt sogar für ein darstellerisches Glanzstück. Ganz auf die Sprache und feinen Gesichtsregungen reduziert, die die Vermummung als Klosterfrau noch zulässt, bringt sie die ganze Glut und Not einer Frau ins Bild, die an einer jüngeren entflammt. Aber das Ungeheurliche des Vorganges entgleitet auch ihr. Nicht das Bekenntnis der Lust ist das Ungeheuerliche welches sich hinter katholischen Mauern gerne mal abspielt, es ist der Missbrauch der Macht, der das Unfassbare and dieser Verirrung ausmacht. Die Nonne der Huppert bleibt zwar bedrohlich, aber in ihrem Erlösungsbedürfnis doch eher harmlos.