Berlinale 3: «Paradies: Hoffnung» – Österreichs Missenmassaker

Ulrich Seidls «Paradies: Hoffnung» ist der dritte Teil einer Trilogie, die gleich drei Festivals vorstellen: Venedig, Cannes und Berlin geben sich die Ehre, wobei Cannes die afrikanische Trafficking-Geschichte «Paradies: Liebe» wählte, Venedig zog  – nahliegend – die katholische Fundamentalismusgeschichte «Paradies: Glaube» vor. Berlin folgt jetzt mit «Paradies: Hoffnung». Ulrichs Seidls „Paradies: Hoffnung“ ist der dritte […]

Ulrich Seidls «Paradies: Hoffnung» ist der dritte Teil einer Trilogie, die gleich drei Festivals vorstellen: Venedig, Cannes und Berlin geben sich die Ehre, wobei Cannes die afrikanische Trafficking-Geschichte «Paradies: Liebe» wählte, Venedig zog  – nahliegend – die katholische Fundamentalismusgeschichte «Paradies: Glaube» vor. Berlin folgt jetzt mit «Paradies: Hoffnung».

Ulrichs Seidls „Paradies: Hoffnung“ ist der dritte Teil einer Trilogie, die gleich drei Festivals vorstellen: Venedig, Cannes und Berlin geben sich die Ehre, wobei Cannes die afrikanische Trafficking-Geschichte «Paradies: Liebe» wählte, Venedig zog  – nahliegend – die katholische Fundamentalismusgeschichte «Paradies: Glaube» vor. «Paradies: Hoffnung» spielt in einem Diätcamp für Jugendliche. Die Solothurner Filmtage durften die beiden ersten Teile schon zeigen. Berlin kriegt nun endlich die dicken Mädchen des dritten Teiles ab.

Ulrich Seidl baut seine Filme in hochgpräzisen Fotografien auf. Er richtet sein Objektiv auf die hässlichen Stellen dieser Welt. Dort gewinnt er Schönheit dadurch, dass er die Hässlichkeiten zu Zerrbildern arrangiert. Er leuchtet, wie ein guter Fotograf, noch den hässlichsten Unort zu einer Schönheit aus. Dann lässt er in dieser Fotografie seine Akteure, meist ein Mischung aus Laien und Profis Dinge tun, die plötzlich absurd werden dadurch, dass jemand dabei zuschaut. Wir.

Da rennen die dicken Mädchen durchs Bild, angeführt von einem strengen Fitnesslehrer. Miltitärisch exakt wird gegessen. Ebenso präzise sollte geschlafen werden. Wären da nicht die Hormone, die auch bei dicken Mädchen verrückt spielen, das Camp könnte glücken. Doch während die äussere Hässlichkeit langsam verflüchtigt, geht Seidl auf die Jagd nach der inneren Unschönheit.

Der Reiz seiner Suche nach Hässlichkeit ist, dass sie auf unsere leeren Schönheitsbegriffe verweist. Im Diätcamp werden keine Missen geschult. Da werden dicke Mädchen verbogen. Denn auch dicke Mädchen haben Träume. Ein wenig Alkohol, ein wenig Flaschenspiel, ein wenig Ausbüxen. Dann begehen auch sie die Irrtümer der Schönheitsköniginnen. Das Schöne an Seidls Mädchen ist eben, dass sie viel wahrer verkörpern, wie wahre Schönheit sich subjektiv anfühlt, als jede weibliche Schönheitskönigin: Wahre Schönheit fühlt sich unvollkommen, unzureichend, vergänglich.

Seidls präzise kadrierte, langatmigen Einstellungen erfordern reife Zuseher  (so nennt der Österreicher die Zuschauer). Erzählen will uns Seidl nämlich nicht viel, dies aber umso trickreicher: Er spielt immer mit uns als Zusehern. Er lässt uns die ungewöhnliche Coming-of-Age-Story um Melanie (Melanie Lenz) einfach selber ausmalen. Er liefert nur die aberwitzigen Andeutungen zu diesem Sittenbild. Selbst wenn Seidl eindeutig wird, greift er zur Überhöhung. Der wesentlich ältere Diätarzt darf, als er den Annäherungsversuchen des Mädchens endlich nachgibt, wie ein Hund auf allen vieren an ihm schnüffeln. Mehr nicht. Da hat das Kind aber bereits minutenlang in einen unheilverkündenden Wald gefahren und auf eine Moosbank gelegt. 

Seidl hat sich als das erwiesen, wofür er bekannt geworden ist. Als abstruser Komponist der Hässlichkeit. Seine Zerrbilder machen aus der Realität etwas wunderbar Surreales. Darin ist er Otto Dix ebenso verwandt, wie Fellini oder Achternbusch.

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