Berlinale Random

Wer aus vierhundert Filmen der Berlinale die herausragenden schildern will, sollte eigentlich alle gesehen haben. Hier ein Querschnitt des Zufalls. Bruno Ganz – ganz ungewöhlich: als serbischer Killer. Schwarzer norwegischer Humor mit schweizer Schalk. Die Berlinale und immer wieder: Die Kunst des Erzählens Wer aus vierhundert Filmen der Berlinale die herausragenden schildern will, sollte eigentlich […]

Wer aus vierhundert Filmen der Berlinale die herausragenden schildern will, sollte eigentlich alle gesehen haben. Hier ein Querschnitt des Zufalls.

Bruno Ganz – ganz ungewöhlich: als serbischer Killer. Schwarzer norwegischer Humor mit schweizer Schalk.

Die Berlinale und immer wieder: Die Kunst des Erzählens

Wer aus vierhundert Filmen der Berlinale die herausragenden schildern will, sollte eigentlich alle gesehen haben. Mit menschlichen Mitteln sind in zehn Tagen wohl an die vierzig Filme zu schaffen (allein im Wettbewerb wären 23 Filme zu besichtigen). Was bleibt dann von den anderen Reihen? Wer nur seiner Neugier folgen will, kann sich auch mal dem Zufall überlassen. Hier ein Querschnitt des Zufalls. Anstatt viele Filme – ganz aber kurz – zu beschreiben, hier ein paar einzelne Szenen aus wenigen Filmen, die in Berlin angelaufen sind. Dem Zufall folgend, bieten die Filme dennoch eine Verbindung. Sie tun, was unsere Zivilisation seit den Anfängen der Höhlenbilder noch heute tut – im Film. Sie erzählen uns unsere Welt in Bildern.

Eine Szene kann besser sein als ihr Film

Am Rande von «The Monuments Men» findet sich zum Beispiel so ein Augenblick, der den ganzen Film ü berrifft, und letztlich erzählen könnte: Eben will sich einer der GI-Kunstwerkeretter aus der Truppe von Frank Stokes (George Clooney) etwas frische Luft unter deutschem Nachthimmel gönnen, da steht er unerwartet vor der Gewehrmündung eines deutschen Kindersoldaten. Der Kindersoldat scheint ebenso überrascht von der Feindberührung wie der Ami. Nur hat er den Finger am Abzug. Er lässt verblüfft seine Waffe schweigen, ebenso wie er selber schweigt. Obwohl er eigentlich dem Ami einiges zu sagen hätte. Zum Beispiel müsste der deutsche Kindersoldat dringend klären, welcher Ruhm ihm so kurz vor der Kapitulation aus der Ermordung eines unbewaffneten Amis erwachsen soll. Ein eisernes Kreuz? Oder ein Rüffel?




 

Joel Basman mit Bob Balaban und Bill Murray

Die Situation hat Brisanz. Mag der Krieg für die Deutschen auch bereits verloren sein, so hat doch der deutsche Kindersoldat kurzzeitig die Oberhand, ohne sie zu nutzen. Nachdem nun die beiden Kriegsführenden sich gebührend lange angestarrt haben, tritt ein weiterer GI zu dem Tête-ä-Tête dazu – seinerseits mit geladener Waffe, und verändert hiermit die Mikro-Kriegslage grundlegend: Nun blicken drei Soldaten mit offenen Mündern in zwei Gewehrmündungen. Der dazugekommene Ami (Bill Murray) nimmt allerdings nur kurz an dem Schweigen teil.

Dann sagt er viel, u.a. etwas, was im Krieg viel zu selten gesagt wird: «Warum setzen wir uns nicht erst einmal hin?» Da er selber im Kriegsführen gänzlich unerfahren ist – ist er doch Kunstexperte – bietet der Ami (Bill Murray) dem jungen Deutschen sogar eine Zigarette an.

Warum nicht erst mal eine rauchen? Dies lehnt nun sein Kollege ab. Nicht weil gegen das Rauchen in friedlicher Absicht als solches wäre, sondern weil er selber Nichtraucher ist. Nach kurzer Debatte über das Nichtrauchen lässt aber auch er sich – für die gute Sache – zu diesem Friedenspaffen überreden. Womit die Diskussion des Films, ob nämlich ein Mensch sich für ein höheres Gut (z.B. Kunst) opfern solle, oder nicht? – in einer Szene zusammengefasst ist.

Der Nichtraucher riskiert sein Menschenleben. Das Opfer wird gebracht. Der Nichtraucher raucht. Drei Männer paffen eine. Aber sie schiessen nicht. Stattdessen gehen Sie ihre Wege: No hard feelings. (Der deutsche Kindersoldat, der nach dem Friedensglimmstengel wieder in der Nacht verschwindet, wird vom Schweizer Joel Basman gespielt. Herrlich vergelstert führt er Not und Angst des Soldaten zusammen, mit ähnlich kargen Mitteln wie Bill Murray, und empfiehlt sich für höhere Aufgaben.).

Mordsspass mit Bruno Ganz

Eine anderes Detail, das eine ganze Geschichte zusammenfasst, stammt aus dem norwegischen Thriller «Kraftidioten» in der auch Bruno Ganz als serbischer Mafiaboss hinreissend schwarzhumorig zu sehen ist: Der Schneepflüger Nils (Stellan Skarsgård) hat in seiner Ehe wohl alles falsch gemacht.

Zumindest ist seine Frau stark dieser Meinung. Als man nämlich den gemeinsamen Sohn tot – durch eine Überdosis vergiftet – auffindet, hat sie den Schuldigen rasch gefunden: Es ist ihr Mann. Und wir sind zum ersten Mal verblüfft: Der Teil-Abspann verrät uns schon nach zehn Minuten Film: Wer den Toten gespielt hat. Und als der zweite Tote in die Tiefe der Fjorde fällt, ahnen wir, dass wir noch mehrere Teil-Abspanne sehen werden ..     

Denn nun setzt Nils zu einem Rachefeldzug gegen die Dealer an, ohne mit seiner Frau auch nur ein einziges Wort zu wechseln. Weil die gute Frau aber von seinen Absichten nichts weiss, verlässt sie ihn, nicht ohne einen Abschiedsbrief zu hinterlassen: Der Schneepflüger, der bereits zwei Drogendealer über die Klippen im Meer versenkt hat, greift fast so beiläufig zu dem Umschlag, wie er Dealer umbringt: Er liest seinem Namen darauf, öffnet ihn, findet darin ein hübsches Briefpapier, wendet es und muss sehen: es ist  – leer! So einfach und mit verblüffendem Humor kann man schildern, was sich Menschen in so einer Trennung alles zu sagen haben.

In Griechenland wird gespart

Ebenso wie unter der Lupe inszeniert, erscheint eine Szene aus dem griechisch-deutschen Film «Sto Spiti» des Griechen Athansios Karanikolas. Seit Neuestem leidet Nadia unter wiederkehrenden Schwindelanfällen. Als Kindermädchen und Haushaltshilfe ist Nadja (Maria Kallimani) mit dieser Krankheit für die Gast-Familie nicht mehr tragbar.

Der Hausarzt und – Freund der wohlhabenden Gast-Familie diagnostiziert allgemeine Schwäche. Als das Gast-Ehepaar die Russin entlässt, wird der vor zwanzig Jahren in Griechenland eingewanderten Frau plötzlich klar, dass sie ins soziale Nichts fallen wird: Die Gastfamilie hat für sie nicht einmal die Sozialversicherungen bezahlt! Dafür könnte zwar Nadja das Ehepaar vierklagen. Tut sie aber nicht. Weil sie es nicht übers Herz bringt, die Menschen vor Gericht zu ziehen, die ihr ans Herz gewachsen sind.

Jetzt steht Nadja an der Bushaltestelle unten an der vierspurigen Stadtautobahn. Es dauert lange, bis ein Bus kommt. Sehr lang. Für Nadja ist es das erste Mal seit zwanzig Jahren im Dienste der wohlhabenden Familie, dass sie wieder mit dem Bus fahren muss. Nadja ruft noch mit dem Handy ihre Tochter an, bemüht, heiter zu wirken, und verschweigt ihr, dass sie auf der Strasse steht. Ehe der Bus eintrifft, dreht sich Nadja ab, im Schwindelanfall, und bleibt an das Bushaltehäuschen geklammert stehen. Das Handy fällt zu Boden.

Wir sehen nun einen jungen Mann, dem das auffällt. Er rennt nicht los, wie wir hoffen, sondern überquert ganz gelassen die vierspurige Rushhour-Strasse. Dann sehen auch wir, was den jungen Mann bewegt hat, die Strasse zu überqueren: Nadja liegt jetzt am Boden. Der Bärtige tritt neben sie. Er bückt sich aber nicht. Er stösst sie nur mit der Fussspitze in die Seite. Sie bewegt sich nicht.

Dann sehen wir Nadja, wie sie im Spital erwacht. Ihr erster Griff gilt ihrer Handtasche. Sie ist leer. Jetzt verstehen wir auch, was der Bärtige an der Bushaltestelle vorhatte Er bückte sich nicht einmal nach ihr, als er sie bestahl. Und war doch nicht der infamste Dieb in dieser Geschichte. Das Ehepaar, welches Nadja entliess, war in der Summe viel kaltherziger, weil sie ein grosses Herz bestahlen.

Kumiko glaubt noch an Filme

Was aber treibt Kumiko an? Sie glaubt, dass der Geldkoffer, der in «Fargo» der Coen-Brüder vergraben wird, dort immer noch liegt, und plant ihn zu heben. Es entspinnt sich ein langgedehntes Spiel mit der Kraft der Fiktion. Längst haben wir eingesehen, dass Kumiko der Glaube an ihren Schatz nicht zu nehmen ist, da entschliesst sie sich, ihr geliebtes Kaninchen auszusetzen, weil sie es auf die lange Reise in den Norden nicht mitnehmen kann.

Also tut sie es. Aber wie: Sie stellt es in die U-Bahn. Auf einen leeren Sitz. Das Kaninchen schnuppert. Das Kaninchen guckt. Das Kaninchen zuckt nur leicht zusammen, als die Türen sich schliessen. Das Kaninchen hebt seine Nase. Dann fährt der Zu los, und im immer schneller werden Takt ziehen die anderen geschlossenen Türen an uns vorbei, bis sie, immer schneller, zu einem einzigen Bilderdonnern verschmelzen, und das Kaninchen in die Grosstadttunnel hinauskatapultieren.

Es sind solche Szenen, mit der an der Berlinale die narrative Kunst des Films gefördert wird und immer weiter neue Wege geht. Es sind aber auch Bilderfolgen, wie sie z.B. Lars von Trier ganz an den Anfang von «Nymphomaniac» stellt, die Film in seiner ganzen Faszination repräsentieren: Der Regen fällt, über Rinnen, heftig, nieseln, und über Ziegel rauschend, fällt durch Mauerritzen und Kopfsteine, rinnt immer tiefer, hinab, minutenlang, bis er ganz unten sich sammelt, dort, wo das Wasser dereinst wieder anfangen wird zu steigen. Im Dreck. In der blutigen Hand einer jungen Frau. Damit ist angedeutet, wo wir mit der jungen Frau in die Geschichte einsteigen, bevor sie uns ihre Edkapaden erzählt, in denen sie gegen sich selber ankämpft.

Das ist so schön bebildert, wie der «Römische Brunnen» von Conrad Ferdinand Meyer geschrieben- und dennoch beklagte Lars von Trier sich, dass er mit der Sprache der Bilder nie den Reichtum der Sprache erreichen werde ….

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