Berner Missbrauchsfall hat laut Verbänden „spürbar sensibilisiert“

Der Fall des Berner Sozialtherapeuten, der 2011 den sexuellen Missbrauch von mehr als 120 in Heimen lebenden Behinderten gestand, hat die Schweizer Behindertenorganisationen „spürbar sensibilisiert“. Das erklärten Vertreter am Mittwoch vor den Medien in Bern.

Behinderte mit Betreuerin beim Spazieren: Die Präventionscharta hat spürbar sensibilisiert (Symbolbild) (Bild: sda)

Der Fall des Berner Sozialtherapeuten, der 2011 den sexuellen Missbrauch von mehr als 120 in Heimen lebenden Behinderten gestand, hat die Schweizer Behindertenorganisationen „spürbar sensibilisiert“. Das erklärten Vertreter am Mittwoch vor den Medien in Bern.

Die nach dem Auffliegen des Mannes im Herbst 2011 der Öffentlichkeit präsentierte Präventionscharta habe sich als hilfreich und praxistauglich erwiesen. Das sagte Ueli Affolter, Koordinator der verbandsübergreifenden Arbeitsgruppe Prävention der zwölf Verbände und Organisationen.

Die Charta hat beispielsweise dazu geführt, dass bei der Behindertenselbsthilfeorganisation Procap heute alle neuen Reiseleiterinnen und Reiseleiter bei der Bewerbung einen Strafregisterauszug einreichen müssen. Dies erklärte Esther Gingold, Geschäftsleitungsmitglied von Procap Schweiz.

Kathrin Wanner, Geschäftsführerin der Behindertenwerke Oberemmental (BWO), berichtete, dass heute bei Neuanstellungen in der BWO zwei Referenzen statt wie früher nur eine eingeholt werden. Und dass dem Schreiben und Interpretieren von Arbeitszeugnissen viel mehr Wert beigemessen wird.

Wanner spielte damit auf den Umstand an, dass der erwähnte Berner Sozialtherapeut mehrfach die Stellung gewechselt hatte und über gute Arbeitszeugnisse verfügte.

„In den letzten zwei Jahren habe ich eins begriffen“, sagte Gingold: „Wenn wir dem Thema Grenzen und Übergriffe Raum geben, wenn wir klar Position beziehen und ansprechbar sind, dann wird auch darüber gesprochen. Und wo gesprochen wird, wird auch hingeschaut und von Übergriffen berichtet.“

Die Charta trägt den Titel „Wir schauen hin!“ und weist zehn Punkte auf.

Externe Meldestellen gefordert

Die zwölf Behindertenorganisationen und -verbände wollen es aber nicht bei internen Anstrengungen bewenden lassen. Ihre Arbeitsgruppe will sich nun mit allen Fachstellen, die sich mit dem Thema sexuelle Gewalt beschäftigen, zusammensetzen. „Denn heute weiss oft die Linke nicht, was die Rechte tut“, sagte Affolter.

Einbeziehen in die Gespräche will die Arbeitsgruppe auch Kirchen, Jugendverbände und Sportverbände, also andere Bereiche, die von sexueller Gewalt betroffen waren oder sind.

Zudem hat die Arbeitsgruppe festgestellt, dass das Thema in der Westschweiz „noch nicht den Stellenwert einnimmt, den wir uns wünschen“, so Affolter. Dort will sie jetzt besondere Anstrengungen unternehmen.

Zudem stellt sie fest, dass in Behinderteninstitutionen und -organisationen interne Meldestellen für Beobachtungen oder Verdachtsmeldungen von Übergriffen geschaffen worden sind. Die Arbeitsgruppe vermisst aber externe, niederschwellige Meldestellen.

Die Arbeitsgruppe will deshalb auf die Kantone zugehen und sie auffordern, solche Stellen zu schaffen. Das Thema Hooligans erhalte von der Politik viel mehr Beachtung als Missbräuche in Heimen, sagte Affolter. Dabei sei zu vermuten, dass die Zahl der Übergriffe in Heimen höher sei als die Zahl von Hooligan-Untaten in der Schweiz.

Schwarze Liste kein Thema mehr

Fallen gelassen hat die Arbeitsgruppe die 2011 noch in Betracht gezogene Idee einer schwarzen Liste von Betreuungspersonen. Das bringe nichts, sagte Affolter, weil nur die wenigsten Täter auch im Strafregister vermerkt seien.

Nächster Artikel