Der Wechsel der Besitzverhältnisse in der Formel 1 schürt Hoffnungen in alle Richtungen. Aus sportlicher Sicht steht die Ausgeglichenheit ganz oben auf der Wunschliste.
Der Ruf nach Veränderungen hatte die Formel-1-WM während Jahren begleitet. Vorschläge primär im Sinne einer Rückgewinnung der Attraktivität der von vielen Problemen behafteten und in der Gunst der Öffentlichkeit gesunkenen Rennserie gab es zuhauf. Die Umsetzung der Pläne scheiterte aber fast durchwegs. Das ist nicht verwunderlich in einer von Neid und Misstrauen geprägten Zweckgemeinschaft, in der die involvierten Kreise praktisch ausnahmslos ihre eigenen Interessen vertraten und das Wohl der Sache von sekundärer Bedeutung war.
Dank Liberty Media, der neuen Eigentümerin der Formel 1, soll es derartige Missstände in absehbarer Zukunft nicht mehr geben. Das amerikanische Unternehmen hat im vergangenen Herbst die Anteile der bisherigen Hauptaktionärin, der in der Finanzbranche operierenden Firma CVC Capital Partners aus Luxemburg, für insgesamt rund acht Milliarden Dollar übernommen.
Reglement, neue Märkte, soziale Medien
Wie sehr sich die neuen Besitzverhältnisse auf das Tagesgeschäft der Rennserie auswirken, bleibt abzuwarten. Die Liste der sich aufdrängenden Neuerungen ist lang. Prioritär behandelt werden sollen die Vereinfachung des sportlichen und technischen Reglements, die gerechte Verteilung des Preisgeldes an die Teams und die Erschliessung neuer Märkte. Liberty Media will selbstredend den Veränderungen im Bereich der Digitalisierung Rechnung tragen und die längst fällige Nutzung von sozialen Netzwerken vorantreiben. Das Internet hat in der Formel 1 bisher eine völlig untergeordnete Rolle gespielt.
Auf die Schnelle dürften Retouchen allerdings kaum anzubringen sein. Langfristig gültige Verträge verhindern dies. Das aktuelle Concorde Agreement etwa, in dem die Rechte und Pflichten aller Gruppierungen und Teams zusammengefasst sind, regelt die Geschäfte in der Formel 1 noch bis ins Jahr 2020. Die Arbeit von Bernie Ecclestone wird in der Formel 1 noch einige Zeit nachwirken. Der Brite selber gehört mittlerweile nicht mehr zu den Machern. Ende Januar wurde er als Geschäftsführer abgesetzt. Ein bitteres Ende für den kleinen, charismatischen Engländer, der die Formel 1 in den 40 Jahren seines Wirkens als Alleinherrscher zu einem Milliarden-Unternehmen geformt hat.
Die Ernennung zum Ehrenpräsidenten wird Ecclestone mehr als Hohn denn als Anerkennung für geleistete Dienste betrachten. Das Sagen haben nunmehr andere. Neuer starker Mann ist der Amerikaner Chase Carey, zuletzt Vizepräsident des in der Filmbranche tätigen Unternehmens 21st Century Fox und während mehreren Jahren die rechte Hand des australischen Medienmoguls Rupert Murdoch. Ihm zur Seite stehen Ross Brawn und Sean Bratches. Brawn, als Teamchef und Technischer Direktor unter anderem während langer Zeit Wegbegleiter von Michael Schumacher, ist für den Bereich Motorsport verantwortlich. Bratches, während fast drei Jahrzehnten beim amerikanischen Sender ESPN in leitender Funktion, kümmert sich um die kommerziellen Belange.
Tendenzen in Montmeló
Ob es die umfangreichen Umwälzungen auch auf sportlichem Gebiet geben wird, steht noch in den Sternen. Aus Sicht des neutralen Beobachters sind sie dringend notwendig, um die Grands Prix wieder zu spannenden und abwechslungsreichen Veranstaltungen zu machen. Die krasse Dominanz des Teams Mercedes wirkte in den vergangenen drei Saisons lähmend. Wenn zwei Fahrer aus der gleichen Equipe in 59 Rennen insgesamt 51 Siege einfahren, ist das dem Ansehen eines Sports nicht förderlich.
Ob sich an der Hierarchie in der neuen Saison etwas ändern wird, bleibt abzuwarten. Die in zwei Tranchen von je vier Tagen abgehaltenen vorsaisonalen Testfahrten auf der Grand-Prix-Strecke in Montmeló haben Tendenzen erkennen lassen – mehr aber auch nicht. Selbst die Einschätzungen der Verantwortlichen der einzelnen Teams änderten fast täglich. Einmal glaubten die direkten Konkurrenten den Rückstand auf Primus Mercedes verringert zu haben, um bei nächster Gelegenheit wieder von «markanten Unterschieden» zu sprechen. Die erste seriöse Einschätzung der Kräfteverhältnisse wird, auch das ist keine neue Erkenntnis, erstmals im Zuge des Saisonauftakts am Wochenende in Australien möglich sein.
Als Gesamtpaket, bestehend aus Chassis sowie Antriebsstrang und gemessen an den gefahrenen Rundenzeiten und der Zuverlässigkeit, haben die Autos von Mercedes und Ferrari auf dem Rundkurs in der Nähe von Barcelona am meisten überzeugt. Eine signifikante Steigerung ist für die Italiener nach der letzten Saison ehedem Pflicht. In Maranello wollen sie eine weitere Weltmeisterschaft ohne Sieg unter allen Umständen vermeiden.
Die Roten glauben sich – wieder einmal – auf gutem Weg, den Silbernen Paroli bieten zu können – zumal nach den sehr guten Rundenzeiten in Montmeló. Allerdings ist davon auszugehen, dass Mercedes noch nicht alle Karten auf den Tisch gelegt hat.
Renault-Motor – neuerliches Manko?
Das neue Auto von Red Bull besticht wie seine Vorgänger durch eine hervorragende Aerodynamik. Adrian Newey, offiziell nur noch als technischer Berater im Amt, hat diesbezüglich wieder ganze Arbeit geleistet. Die Schwachstelle des blauen Gefährts war einmal mehr der Antriebsstrang. Die Leistung des von Renault gelieferten Aggregats vermochte zumindest bis jetzt mit den Produkten von Mercedes und Ferrari nicht Schritt zu halten. Verantwortliche und Fahrer der «Roten Bullen» sehen sich gleichwohl in der Lage, Mercedes herausfordern zu können. Wenn nicht von allem Anfang an, so zumindest mit Fortgang der Saison.
In einer derart starken Position sieht sich Sir Frank Williams mit seiner gleichnamigen Equipe noch nicht. Die Fortschritte im Vergleich zur letzten Saison waren bei den Testfahrten gleichwohl augenfällig und liessen die Erwartungen entsprechend in die Höhe schnellen. Der wenige Wochen nach seinem Rücktritt reaktivierte Felipe Massa glaubt, wieder in den Kampf um die Podestplätze eingreifen zu können. Der Wunsch des Brasilianers möge im Sinne von mehr Ausgeglichenheit in Erfüllung gehen.