Mit der Besteuerung von Sozialhilfeleistungen und der Steuerbefreiung des Existenzminimus könnten falsche Anreize und Schwelleneffekte beseitigt werden. Zu diesem Schluss kommt ein Bericht, den der Bundesrat am Freitag verabschiedet hat.
Heute werden Sozialhilfeleistungen nicht besteuert. Dies kann Schwelleneffekte und negative Erwerbsanreize zur Folge haben. Ein Schwelleneffekt tritt dann ein, wenn das frei verfügbare Einkommen wegen einer geringfügigen Einkommenssteigerung abrupt verringert wird.
Dies kann zum Beispiel passieren, wenn durch das zusätzliche Einkommen der Anspruch auf eine Leistung wie etwa die Verbilligung der Krankenkassenprämien verloren geht oder wenn die Fixkosten und Steuern sprunghaft ansteigen.
Tieferes Einkommen trotz mehr Lohn
Ein negativer Erwerbsanreiz liegt vor, wenn das frei verfügbare Einkommen trotz steigendem Bruttolohn abnimmt. Dies kann zum Beispiel passieren, wenn eine Unterstützungsleistung wegen einer Lohnerhöhung reduziert wird.
Das Parlament hatte den Bundesrat beauftragt zu prüfen, welche Auswirkungen es hätte, wenn Sozialhilfeleistungen gänzlich der Einkommenssteuer unterstellt würden und gleichzeitig das Existenzminimum steuerbefreit würde.
Kombination beider Massnahmen
In seinem am Freitag veröffentlichten Bericht schreibt der Bundesrat nun, dass die Schwelleneffekte und negativen Erwerbsanreize sowohl durch die Besteuerung der Sozialhilfeleistungen in Kombination mit der Steuerbefreiung des Existenzminimus als auch allein durch die Steuerbefreiung des Existenzminimus beseitigt werden könnten.
Die Steuerbefreiung des Existenzminimus allein würde aber der steuerlichen Gleichbehandlung des Einkommens aus Erwerbstätigkeit und aus Unterstützungsleistungen widersprechen. Steuersystematisch wäre die Besteuerung der Unterstützungsleistungen richtig, heisst es im Bericht.
Korrekturmassnahmen nötig
Die Kantone und gegebenenfalls auch der Bund müssten mit Korrekturmassnahmen sicherstellen, dass das soziale Existenzminimum trotz Besteuerung der Sozialhilfeleistungen gewährleistet bleibt. Die Höhe des Existenzminimums und die konkrete Ausgestaltung der Steuerbefreiung müsste dabei den Kantonen überlassen werden.
Die Steuerbefreiung des Existenzminimums ist heute weder beim Bund noch in den Kantonen explizit vorgeschrieben. Beim Bund werde sie aber faktisch durch die hohen Freibeträge und die Abzüge gewährt, hält der Bundesrat fest. Auch in den Kantonen werde dem Existenzminimum Rechnung getragen.
Bern und Neuenburg als Beispiele
Grundlage des Berichts bildet eine Untersuchung der Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe (SKOS) am Beispiel der Kantone Bern und Neuenburg. Im Kanton Bern verursacht die Steuerbelastung gemäss dem SKOS-Bericht einen negativen Erwerbsanreiz für Haushalte, die Sozialhilfe erhalten und in denen mindestens eine Person einer Erwerbstätigkeit nachgeht.
Im Kanton Neuenburg verursacht die Steuerbelastung für Haushalte in der Sozialhilfe keinen negativen Erwerbsanreiz. Jedoch ergibt sich aufgrund der Steuerbelastung ein Schwelleneffekt bei Austritt aus der Sozialhilfe. Dieser Schwelleneffekt fällt mit einem zweiten Schwelleneffekt zusammen, der sich aus dem Zusammenspiel von Sozialhilfe und Prämienverbilligung ergibt.
In jedem Kanton anders
Mit der Steuerbarkeit von Unterstützungsleistungen allein könnten nicht alle systembedingten Ungerechtigkeiten verhindert werden, hielt die SKOS fest. Sie machte aber eine positive Wirkung aus.
Würde die Besteuerung der Sozialhilfeleistungen und die Steuerbefreiung des sozialen Existenzminimums kombiniert, ergäben sich im Kanton Bern keine negativen Erwerbsanreize. Beim Kanton Neuenburg geht die SKOS davon aus, dass der Schwelleneffekt korrigiert würde.
Die SKOS hielt in ihrem Bericht fest, die Ergebnisse könnten nicht eins zu eins auf andere Kantone übertragen werden. Um alle Schwelleneffekte und negativen Erwerbsanreize in einem Kanton vermindern oder beseitigen zu können, empfehle sich eine vertiefte Analyse aller kantonalen Transfer- und Steuersysteme.