«Bildrausch» – Zwischenbilanz des Basler Filmfestes

Ein gutes Dutzend Filme laufen im «Bildrausch»-Wettbwerb. Was bewegt die Jury? Eine Zwischenbilanz vom Basler Filmfest. Die Kinos sind voll. Die Teilnehmer gut gelaunt. Das Publikum hat die Qual der Wahl. Auch die vierte Ausgabe des Basler Filmfestes «Bildrausch» bietet wieder üppig viel Film und – vergibt Preise: Um den «Bildrausch»-Ring konkurrieren ein gutes Dutzend […]

Ein gutes Dutzend Filme laufen im «Bildrausch»-Wettbwerb. Was bewegt die Jury? Eine Zwischenbilanz vom Basler Filmfest.

Die Kinos sind voll. Die Teilnehmer gut gelaunt. Das Publikum hat die Qual der Wahl. Auch die vierte Ausgabe des Basler Filmfestes «Bildrausch» bietet wieder üppig viel Film und – vergibt Preise: Um den «Bildrausch»-Ring konkurrieren ein gutes Dutzend internationaler Filme: Für Kinogänger stellt sich, wie bei jedem Festivalbesuch, die Frage, habe ich den besten ausgewählt?

Bilder geraten in Bewegung – Bewegungen schaffen Bilder

Nach dem Eröffnungsfilm «Das Grosse Museum» war das formale Thema des «Bildrausch»-Wettbewerbes lanciert. Als Johannes Holzhausen am Schluss seines Filmes die Bilder der österreichischen Ahnengalerie in beschleunigendem Tempo zu einer Film-Bildfolge werden liess, gab er ungewollt die Steilvorlage für die restlichen Filme.

Im Krebsgang unterwegs nach Westen

Xi You fing einem einzigen Bild gleich einen ganzen Film ein: Ihr Protagonist meditiert in «Journey to West» über einer Stadt. Schildkrötenlangsam lässt der Mann in Extremzeitlupe alles um ihn herum beschleunigt erscheinen – bis auf die Sonne. Sie verschiebt sich noch langsamer. Egal ob er beachtet wird oder nicht, der rote Fleck des Priesters macht wie ein Zeiger in einer Uhr der beschleunigten Welt die lange Nase. Zuschauer, die diesen Film am Ende im Mönchsschritt verlassen, haben sich keinen weiteren Film vorgenommen. Die anderen streben schon wieder zum nächsten Bilderrausch.

«Nånting Måst Gå Sönder» («Something Must Break»)

Eine ganz eigene Bewegung in einem einzigen Bild fand der junge Schwede Ester Martin Bergsmark. Er hält mit Saga Becker das Bild eines jungen Grosstadtmenschen in einer ganz besonderen Bewegung: Wann immer das Gesicht von Saga im Bild ist, bewegt es sich zwischen Mann und Frau, kippt, ohne eindeutig zuordenbar zu sein.

Genau das hat den Regisseur an der Geschichte von Eli Levén faszinert: «Du är rötterna som sover vid mina fötter och håller jorden på plats» (Du bist die Wurzeln, die an meinen Füssen schlafen und die Erde festhalten) fasziniert als Liebesgeschichte wie als Coming Out. «Sebastian kann sich entscheiden, ob er eine Frau oder ein Mann sein will.»

Ester Martin Bergsmark schliesst, wenn er über seinen Film nachdenkt, zwar die Sätze nicht ab. Ebenso offen geht er seine Geschichte an: Der Zweimetermann scheint sogar weit über unseren Köpfen zu weilen, wenn er spricht, und wenn er dann noch hinaufblickt beim Nachdenken, ist er ganz oben in den Film-Wolken.

Dennoch fügt er ganz klare «Neins» oder «Jas» ins Gespräch ein. «Ja, er kann sich entscheiden». Ob er eine Frau sein will. Oder als sie ein Mann.

Gelungen ist dem Team vor allem ein Liebesfilm, der so nur in Schweden entstehen kann: Wolkenleicht, unaufgeregt, explizit und dennoch mit viel Bodenhaftung stellt er sich der Diskussion um die «Transgender»-Frage mit einem kurzweiligen Kippbild.  

Ein Killer mit Unterweltschmerz

Nicht recht in Bewegung wollten die Bilder hingegen in «Stratos» kommen. Für Ganoven-Romantiker mit barscher Gemütslage bot sich eine unkomplexe Geschichte. Ein Killer killt. Die Stadt ist breit. Und auch in der Unterwelt werden die Kleinen über den Tisch gezogen. Dialoge, die psychologisch so wiederholbar monoton wie Faustkämpfe sind. Einstellungen, die so lange währen, bis der Blick den Ausgang sucht.

«Stratos» ist ein Kurzfilm, der in die Länge geraten ist. Die – immerhin breiten – Stadtbilder rechtfertigen wenigstens die Breitleinwand. Am Ende (wie auch am Anfang) kennt «Stratos» nur eine Richtung: Die Hinrichtung. Auch die unzähligen Toten können die elitär erzählte «Film noir»-Geschichte nicht über 137 Minuten spannend machen. Lang verweilende Bilder machen noch lange keinen Suspense. Und wer von der Unterwelt berichtet, berichtet eben doch nicht über die da ganz unten … aber ich will mich mal nicht künstlich darüber aufregen ….

Die Kunst bringt Bewegung ins Leben mit der Kunst

«Ich will mich nicht künstlich aufregen» von Max Linz nähert sich dem bewegten Bild in ganz anderer Art: Mit elitärer Selbst-Re-Reflexion. Max Linz hat schon in seiner Internet-Serie das «Oberhausener Gefühl» den Leer-Aufstand geübt: In zehn Folgen setzte er sich mit den Bedingungen der Produktion von Film und Kunst auseinander.

Mit seinem Film holt er sein Publikum andauernd beim Kunstbetrachten ein: Asta, die Kuratorin, kennt sich mit Kunst aus. Sie spielt in ihrem Leben eine grosse Rolle. Als sie logischerweise ihr eigenes Leben auch als Kunst zu verstehen beginnt, kommt ihr Kuratieren ins Stocken. Asta kann es abstrakt. Doch entspringt das Konkrete bei ihr bis jetzt nur Buchdeckeln – und lauert in Sätzen, die man nicht gerne beim essen hören möchte. Asta kann sich nur künstlich aufregen.

Es ist einer der kühlsten Filme des Festivals, und doch umstritten, weil er wunderbar vorführt, wie Satire funktioniert, wenn sie ihren Witz nicht auf Kosten anderer entwickelt. Richtig perfide ist das bei Linz erst richtig nach dem Film. Beim Kino-Verlassen klingen die Sätze über den Film wie ein Echo der zitierten Katalogtexte im Film. Dort schlendern die Menschen, die sich hinter verschleiernden Allerweltssätzen mit Unsichtbarkeit tarnen, noch durch ihr künstliches Leben. Im Foyer.

(Bild: Martin Dam Kristensen)

Medea weiter gedacht

Auch der Däne Malmros, dem das Basler Filmfest gleich eine ganze Reihe widmete, denkt beim Filmemachen immer wieder über das Filmemachen nach: Allerdings wesentlich direkter – und emotional mit Tiefgang: Die Frau des Filmemachers Johannes, Signe, hat in «Sorrow and Joy» die gemeinsame Tochter umgebracht. Der Filmemacher Nils Malmros zeigt den Filmemacher Johannes bei der Aufarbeitung: Realistisch, schonungslos folgt er der Spuren der Tat, bis hinein in sein eigenes Leben.

Jetzt kommt an den Tag, was in den besten Familien vorkommt: Die Frau fühlte sich eingeengt. Eine Mädchen-Schauspielerin im Film ihres Mannes macht den Rest. Sie spielt Szenen aus Signes Leben im Film. Aber Signes Leben nimmt in Wirklichkeit eine andere Wendung. Während Johannes als Regisseur in seinem Film eine junge Frau in Szene setzt, entgleitet seine eigene Gattin seiner Inszenierung im Leben.

Malmros Bilder sind ebenso still, wie etwa jene von «Stratos», und doch bewegen sie sich mehr: In uns. Malmros denkt in altbwährter Art über menschliches Verhalten nach, und bringt vor der Kamera nur in Bewegung, was ihn – und endlich uns – im Inneren bewegt.

Gespannt darf die Entscheidung der Jury morgen abend erwartet werden. Johanna Hogg, Andreas Ungerböck und Nanouk Leopold wählen aus dem guten Dutzend aus, das der heutige und morgige Reigen noch voll machen.   

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