Der blinde chinesische Bürgerrechtler Chen Guangcheng hat am Donnerstag detailliert über seine dramatische Flucht aus dem Hausarrest in der östlichen Provinz Shandong berichtet.
„Es gab mindestens 60 Leute, die in dem Dorf mit meiner Überwachung beauftragt waren“, berichtete Chen am Donnerstagabend am Telefon über seine Flucht am 20. April. „Hätten sie entdeckt, dass ich geflohen bin, hätten sie mich wahrscheinlich tot geschlagen. Das war wirklich sehr, sehr gefährlich.“
Der blinde Aktivist wurde später auf der Flucht von Verwandten und Freunden unterstützt, doch den ersten Teil musste er ganz allein zurücklegen. Zunächst musste er eine zwei Meter hohe Mauer überwinden, die seine Wächter um sein Haus errichtet hatten.
Beim Sprung von der Mauer brach er sich den Fuss. Obwohl er seit seiner Kindheit blind ist, kennt sich der 40-Jährige um sein Dorf gut aus. Da es helllichter Tag war, versteckte er sich zunächst in einem Schweinestall.
Trotz des Schmerzes in seinem Fuss gelang es ihm bei einbrechender Dunkelheit, humpelnd und kriechend eine Brücke über einen Fluss zu erreichen. Die dort postierte Wache bemerkte ihn zum Glück nicht – womöglich weil sie schlief, wie Chen vermutete.
Nach zwanzig Stunden und zahlreichen weiteren Hindernissen erreichte er schliesslich das Nachbardorf in einem Kilometer Entfernung. Er klopfte bei einem Freund, der seinen Bruder Chen Guangfu informierte.
Unaufmerksame Wächter
„Niemand dachte, dass mir die Flucht gelingen würde. Sie waren schockiert, mich zu sehen“, sagte Chen. Sein Bruder informierte andere Menschenrechtsaktivisten und organisierte ein Auto für die Fahrt in die nächste Stadt Xintai.
Am 22. April brachten ihn Aktivisten aus Peking in die Hauptstadt. Glücklicherweise entdeckten seine Wächter die Flucht erst nach mehreren Tagen. Am 26. April schliesslich brachte ihn ein Auto der US-Botschaft in die Mission.
Chen hatte durch seinen Einsatz für die Opfer von Zwangssterilisierungen und Landenteignungen den Zorn der Behörden auf sich gezogen. Nach der Entlassung aus dem Gefängnis im September 2010 hatten die örtlichen Behörden ihn unter Hausarrest gestellt.
Nach langwierigen Verhandlungen mit den chinesischen Behörden verliess der 40-Jährige nach sechs Tagen die US-Botschaft wieder und wurde zur Behandlung seines Fusses in eine Klinik gebracht. Er fühlt sich in China aber nicht sicher und will mit seiner Familie in die USA ausreisen.