Das denken viele. Dabei werden monatlich Millionen neue aufgeschaltet.
Vorletzte Woche – Paris Fashion Week. Diesmal waren die Damen dran. Und alle waren sie wieder da. Die Schönen, die Reichen, die Berühmten, die Front-Row-Face-Geübten, die Nichteingeladenen, die Paparazzi (die es diesmal schwer hatten, die Rihannas und Brangelinas dieser Welt vor die Linse zu kriegen, weil das Hôtel Ritz gerade umgebaut wird, denn da wohnen sie traditionellerweise) – und die Blogger.
Personal-Style-Blogger, How-to-was-auch-immer-Blogger, Hobby-Blogger, Have-been-there-and-have-seen-that-Blogger. Und es werden von Saison zu Saison mehr. Da kann es durchaus passieren, dass du vor zwei Japanerinnen stehst und du, nachdem sie dich fotografiert und gefragt haben, was du da gerade trägst, den Markennamen L-A-C-O-S-T-E buchstabierst.
Bloggen. Das ist voll 1999. Oder etwa nicht? Stimmt, liebe Leserin, lieber Leser, Sie haben natürlich recht. Der Text, den Sie gerade lesen, erscheint auch in einem Blog. Aber kann man das wirklich mit dem klassischen Blog-Gedöns vergleichen, wo es lediglich um ein paar Bildli und um ein mehrheitlich fahl verfasstes Mitteilungsbedürfnis geht? Oder sollte vielleicht eher der Titel dieses Gefässes hier bei der TagesWoche anders benannt werden?
Nicht totgekriegt
Als damals, drei Jahre vor dem Millennium, der Herausgeber von «Robot Wisdom», John Barger, erstmalig in einem Vortrag den Begriff «Web-Log» verwendete, meinte er damit eigentlich seine persönliche Liste der Internetseiten, die er in dieser Zeit täglich besuchte. Der Term «we blog» kristallisierte sich heraus, woraus dann erst der Begriff «Blog» entstand und viel später das neudeutsche Wort «bloggen».
Und obwohl viele denken, das mit diesen Blogs sei nicht mehr so ganz modern – täuschen sie sich. Denn monatlich werden laut therichest.com mehr als 30 Millionen neue Blogs (nicht bloss Blogeinträge) hochgeladen (Neuzugänge von auf Blog basierenden sozialen Netzwerken eingeschlossen).
Es sind heute weniger Tagebücher, die gefragt sind. Es geht um sogenanntes Infotainment, die Mischung aus Wissen (eventuell euphemistisch hier) und Unterhaltung: Ratgeber, seien diese technischer oder karrierebildender Natur, oder Stories darüber, was berühmte Menschen gerade so machen. Das sind, versehen mit gutem Bildmaterial, die erfolgreichsten Konzepte. Blogs können Millionen von Klicks erreichen und, durch Werbeverträge, Monatsgehälter von bis zu 800 000 US-Dollar bescheren.
(Bild: Meier’s Best)
Die schier unfassbare Anzahl Fotografen und Blogger an den Modewochen lässt sich jeweils immer neue Möglichkeiten einfallen, das Bilder-Fangen erfolgreicher und bequemer zu gestalten. Das ist auch zwingend notwendig, denn der Content soll ja schliesslich möglichst schnell greifbar sein und mit Shares und Likes versehen werden können. In Paris, beim Ausgang der Valentino-Show, haben sich die Bilderwütigen kurzerhand einfach der zahllos verstreuten Stühle überall in den Tuilerien, unweit des Louvre, bedient, um eine Art Wand zu bilden, ähnlich der Aufstellung für ein Klassenfoto. Bewaffnet mit Canons und Smartphones kann man sich so direkt den Stars und best dressed Fashionistas in den Weg stellen.
Noch sonderbarer wurde es jeweils, als sie, sobald sie eine prominente Person erkannt hatten, laut nach ihr zu schreien anfingen, gar zu singen und zu johlen und wie an einem Fussball-Match kraftvolle Parolen auszustossen. Und wie die Stars und Sternchen gar diesen Aufforderungen auch noch nachkamen und tatsächlich zu posieren anfingen!
Als ich dazukam, lief gerade Vogue-Japan-Direktorin Anna Dello Russo vorbei. Den Moschino-I-am-a-Barbie-Girl-Fummel (der übrigens in Kollaboration mit Katy Perry entstanden ist und in der Woche zuvor zahllos im Internet gepostet worden war) hatte sie natürlich nicht mehr an. Zugegeben, ich konnte dann wegen des enormen Gruppendrucks auch nicht anders, als auch noch mein Scheiss-iPhone hinzuhalten, um den «denkwürdigen» Moment in Form eines zittrigen Videos zu bannen. Doch gepostet habe ich es nicht, ich bin ja schliesslich kein Mr. Instagram. Und Tumblr ist für mich ein Instrument zur schnellen Trocknung von vom Waschen noch nassen Kleidungsstücken.
Von diesem Tumult angewidert, kann man dann eigentlich gar nicht anders, als sich einfach auf eine Bank zu setzen im weitläufigen Park. Die Sonne geniessend und die Tatsache, dass man gerade in einer der schönsten Städte der Welt ist, und mit geschlossenen Augen etwas vor sich hindösen. Wie die schöne Blonde auf der Parkbank neben mir. Einfach mal ein Nickerchen machen.
Ist man aber dabei noch besonders gut gekleidet und sieht zudem der russischen Haute-Couture-Designerin und Stilikone Ulyana Sergeenko zum Verwechseln ähnlich, kann es aber schon vorkommen, dass selbst diese Ruhe noch durch ein Blitzgewitter gestört wird. Gut, dass man davon erst online erfährt. Denn das gibt weniger Wut und Früchte des Zorns, sprich Ohrfeigen, in der analogen Welt.
(Bild: Meier’s Best)