Nach Barcelona, Paris und Rom ist Woody Allen zurück in San Francisco: In «Blue Jasmine» holt er «Streetcar named desire» in ein Delirium des 21. Jarhhunderts – und rollt Cate Blanchett den roten Teppich aus.
Sie redet ins Leere. Sie redet pausenlos. Auch wenn ihr niemand zuhört. Sie durchlöchert ihre Tage mit Worten, um Halt zu finden, so, wie einst Filmstreifen perforiert wurden, damit sie im Projektor Halt fanden. Man geht ihr aus dem Weg, wenn sie sich neben einen setzt: Jasmine.
Woody Allen hat diese Jasmine erfunden: Als eine ferne Verwandte von Tennessee Williams’ Blanche aus «Streetcar named desire» führt er sie uns als eine feine Dame des einundzwanzigsten Jahrhunderts vor, die von ihrer Traumwelt eingeholt wird, besser: In ihre Albtraumwelt abstürzt.
Woody Allens «Le Tramway nommé delire»
Nach Barcelona, Paris und Rom ist Woody Allen zurück in San Francisco. Angelehnt an William’s Blanche, lässt Allen Jasmine aus den dichten Wolken der High Society herunterkommen. Sie landet in der Kleinwohnung der Kassiererin Ginger, ihrer Schwester, für deren Armut sie verantwortlich ist. Sally Hawkins, die wir schon in Happy-Go-Lucky als hinreissende Frohnatur erleben durften, ist diese Ginger. Bei ihr findet Jasmine einfache Menschen, Arbeit und sogar etwas Halt. Doch bald kann Jasmine zwischen Vergangenheit und Gegenwart nicht mehr unterscheiden.
Eine grosse Schauspielerinnen des zeitgenössischen Films
Cate Blanchett ist diese Jasmine. Sie spielt sie mit jeder Faser ihres Körpers. Sie führt Jasmine als Traumrolle vor: Eine der besten Schauspielerinnen des zeitgenössischen Kinos spielt, ja, verwandelt sich in eine Frau, die zusehends sich spielt, wie sie selber gerne wäre, sich dabei aber immer weiter von sich selbst entfernt, bis sie sich gänzlich aus den Augen verliert.
Erst sind es nur kleine Ausflüchte, die Jasmine von der Wirklichkeit trennen, kleine Unwahrheiten, im Vergleich zu den grossen Betrügereien, die ihr Mann begeht. Doch dann werden die Lügen dicker. Die Umgebung verdünnt sich. Bei der letzten Cocktailparty steht Jasmine völlig neben sich. Sie starrt in eine beängstigende Leere. Je mehr Jasmine sich selber entrückt ist, desto näher rückt uns diese Cate Blanchett: Sie schildert eines dieser verlorenen Wesen, die sich nur noch über Äusserlichkeiten definieren, eines dieser Modegeschöpfe, die sich täglich selber neu stylen, oder eher: performen. Das ist schlicht grosse Schauspielkunst.
Woody Allen hat einen Prototypen unserer Zeit erschaffen: Die betrogene Hochstaplerin, die sich selber andauernd erfindet, sich gegen jede Anfechtung verteidigt, und schliesslich daran scheitert: Noch nie hat vor Allen jemand derart kompromisslos die Fassade der schnelllebigen Hipsters niedergerissen. Und selten hat Allen einer Schauspielerin derart den roten Teppich ausgerollt.
Woody Allens Muse
In Cate Blanchett hat Allen eine Muse gefunden, die seine Stärke ganz neu an den Tag bringt. Blanchett kann das, was Allen nicht mehr lassen kann: Sie kann alles zerreden. Wenn ihre Jasmine am Ende nur noch leere Worthülsen von sich gibt, Leihworte, Leerstellen, ist sie längst nur noch eine Hülle. Mit dieser Jasmine hat Allen endlich die Figur gefunden, die seinen Wortwitz in die Nähe vom Wahnsinn rückt.
Zu sehen ist Woody selber im Film nicht. Das ist besser so. Dafür ist er unaufhörlich zu hören! So unerhört tiefsinnig, wie seine Erfindungen seien, könne er selber gar nie sein, hat er einmal gesagt. Dabei erzählt Allen in «Blue Jasmine» geistreich, komisch, tieftraurig und am Ende erbarmungslos Jasmines Verlust der Bodenhaftung. Selbst im freien Fall – nachdem die Fassade des Reichtums längst gefallen ist, lässt Blanchett ihre Flügel nicht hängen – flattert sie mit matten Flügelschlägen und leeren Worten weiter Richtung Abgrund.
- «Bues Jasmine» läuft zur Zeit in den Kult-Kinos.