Unmittelbar vor der türkischen Parlamentswahl am Sonntag haben Unbekannte einen Sprengstoffanschlag auf eine Veranstaltung der pro-kurdischen Oppositionspartei HDP verübt. Laut Polizei und Ärzten starben dabei am Freitag in Diyarbakir mindestens drei Menschen.
Mindestens 220 weitere Menschen wurden nach Angaben von Ärzten zum Teil lebensgefährlich verletzt. Wer die Bluttat verübt hat, blieb auch Tag danach unklar.
Regierungschef Ahmet Davutoglu sprach am Samstag von «Sabotage» und einer «Provokation». Weiter sagte er im Sender Star TV: «Das war nicht gegen eine Partei gerichtet, das war ein Angriff auf die Demokratie.» Teilnehmer der HDP-Kundgebung hatten jedoch unmittelbar nach dem Anschlag Präsident Recep Tayyip Erdogan, der der regierenden AKP angehört, in Sprechchören als «Mörder» beschimpft.
Die Nachrichtenagentur DHA berichtete, 20 Menschen schwebten in Lebensgefahr. Unter den Toten sei ein 16-jähriger Junge.
Der Sprengsatz sei mit Metallkugeln gefüllt gewesen, erfuhr die Nachrichtenagentur AFP am Samstag aus Ermittlerkreisen in der südostanatolischen Stadt. Zwei Explosionen hatten im Abstand weniger Minuten die Veranstaltung der kurdischen Demokratischen Partei der Völker (HDP) erschüttert.
Die Regierung bestätigte am Samstag, dass zumindest bei einer der zwei Explosionen Sprengstoff verwendet wurde, dem Kugeln beigefügt wurden.
An diesem Sonntag wählen die Türken ein neues Parlament. Die HDP könnte bei der Wahl das Zünglein an der Waage sein. Sollte die HDP die Zehn-Prozent-Hürde überwinden, könnte die AKP ihre absolute Mehrheit verlieren.
Sollte die HDP den Einzug verpassen, könnte die AKP eine 60-Prozent-Mehrheit von 330 Sitzen erzielen. Diese Mehrheit ist erforderlich für ein von der AKP angestrebtes Referendum über eine Verfassungsreform. Ziel ist die Einführung eines Präsidialsystems mit Erdogan an der Spitze.
Partei ruft zu Ruhe auf
Der Ko-Vorsitzende der HDP, Selahattin Demirtas, rief am Samstag erneut zur Ruhe auf: «Wir werden nicht mit Wut handeln, wir werden mit dem Gewissen handeln und zur Wahlurne gehen», sagte er in Istanbul.
Am Samstag protestierten rund tausend Menschen in Diyarbakir. Sie hielten Transparente mit der Aufschrift: «Trotz allem Frieden».
Die seit 2002 regierende AKP ist die stärkste politische Kraft im Land und dürfte das auch bleiben. Umfragen sehen die AKP bei 40 bis 45 Prozent, weit vor der säkularen CHP, die zwischen 25 bis 18 Prozent liegt, und der Nationalistenpartei MHP, die auf 15 Prozent kommt.
Der Wahlkampf endete am Samstag. Nach Angaben der Obersten Wahlbehörde (YSK) durften Kandidaten nur noch bis 17.00 Uhr MESZ öffentlich um Stimmen werben. Es ist die erste Parlamentswahl seit dem Amtsantritt von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan im vergangenen August.