Auch gefährliche Verbrecher wie Anders Behring Breivik haben Menschenrechte: Ein Gericht in Oslo gab am Mittwoch der Klage des wegen 77-facher Tötung verurteilten Extremisten gegen seine harten Haftbedingungen statt.
Breiviks langjährige Einzelinhaftierung sei «unmenschlich» und verstosse gegen die Europäische Menschenrechtskonvention, urteilte das Gericht und verurteilte den norwegischen Staat wegen eines Verstosses gegen Artikel 3 der Menschenrechtskonvention. Richterin Helen Andenaes Sekulic verwies insbesondere darauf, dass der 37-Jährige seit fast fünf Jahren in Einzelhaft sitze.
«Das Verbot der unmenschlichen und erniedrigen Behandlung ist ein Grundwert in einer demokratischen Gesellschaft. Das gilt unter allen Umständen – auch bei der Behandlung von Terroristen und Mördern», hiess es im Urteil. Breivik hatte gegen den Staat geklagt und erklärt, wegen der Einzelhaft leide er unter Kopfschmerzen und Mutlosigkeit.
«Entscheidende Faktoren waren die Länge der Isolation, eine mangelhafte Begründung, begrenzte Klagemöglichkeiten und zu wenige ausgleichende Massnahmen», heisst es in dem Urteil. Auch die vielen Leibesvisitationen habe der Staat nicht gut genug begründet. Dieser hielt die Behandlung für berechtigt, weil Breivik immer noch hochgefährlich sei.
Kontaktsperre zulässig
In Bezug auf Artikel 8 der Konvention sprach das Gericht den Staat dagegen frei. Darin heisst es: «Jede Person hat das Recht auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens, ihrer Wohnung und ihrer Korrespondenz.» Breivik hatte es im Prozess als unmenschlich bezeichnet, dass er kaum Kontakt zur Aussenwelt habe. Seit dem Tod seiner Mutter 2013 habe er nur noch einen privaten Besucher gehabt.
Der Norweger hatte im Juli 2011 bei Anschlägen in Oslo und auf der Insel Utøya 77 Menschen getötet, darunter viele jugendliche Teilnehmer eines sozialdemokratischen Sommerlagers. Im Jahr darauf hatte ihn ein Gericht zur Höchststrafe von 21 Jahren Haft und Sicherungsverwahrung verurteilt.
Im Gefängnis kann sich Breivik in drei Zellen aufhalten. Hier stehen ihm unter anderem mehrere Fernseher, eine Playstation und Trainingsgeräte zur Verfügung.
Plan für Haftbedingungen
Nach Informationen des norwegischen Fernsehens liess das Gericht Breivik eine Kopie der Entscheidung bereits am Vormittag zukommen. «Wir haben in dem wichtigsten Punkt gewonnen, deshalb sehen wir keinen Bedarf, in Berufung zu gehen», sagte sein Anwalt Øystein Storrvik dem Sender NRK.
Der Staat müsse nun einen Plan für Breiviks künftige Haftbedingungen vorlegen. Seiner Auffassung nach sollte der Massenmörder in Zukunft nicht mehr nur durch eine Glasscheibe von anderen Menschen getrennt kommunizieren dürfen. Wie sein Mandant auf das Urteil reagiert hat, wollte er nicht kommentieren.
Der Anwalt der Regierung, Marius Emberland, zeigte sich am Mittwoch überrascht von der Entscheidung des Gerichts. Er wolle das Ergebnis nun zunächst mit dem Justizministerium besprechen, um zu entscheiden, ob der Staat in Berufung gehen werde.
Laut Urteil muss der Staat Breiviks Prozesskosten von rund 331’000 norwegischen Kronen (rund 39’000 Franken) übernehmen.
Unterschiedliche Reaktionen
In ersten Reaktionen bewerteten Überlebende des Massakers auf der Insel Utöya das Urteil unterschiedlich. «Das Urteil zeigt, dass der Rechtsstaat funktioniert und die Menschenrechte selbst in extremen Fällen respektiert», schrieb der Überlebende Björn Ihler im Kurznachrichtendienst Twitter.
Ein weiterer Überlebender, Viljar Hanssen, kam zu einem anderen Schluss: «Ein Hoch auf den Rechtsstaat – aber das ist nun einfach absurd», schrieb er auf Twitter.