Der britische Justizminister Michael Gove will im Falle seiner Wahl zum Premierminister nicht vor dem kommenden Jahr den EU-Austritt seines Landes in die Wege leiten. Er werde Artikel 50 der EU-Verträge erst dann aktivieren, wenn Grossbritannien dazu bereit sei.
«Ich rechne nicht damit, dass er (Artikel 50) noch in diesem Jahr aktiviert wird», sagte er am Freitag vor Journalisten in London. «Wir kontrollieren den Zeitplan, wir machen es erst, wenn wir bereit sind.» Der Artikel besagt, dass dessen Aktivierung die auf zwei Jahre angesetzten Austrittsverhandlungen einleitet.
Gove ist einer der fünf Politiker der konservativen Tories, die Premierminister Cameron nach dessen Rücktritt im Herbst beerben wollen. Der Justizminister, der sich im Gegensatz zu Cameron für den Brexit stark gemacht hatte, präsentierte sich als Kandidat des «Wandels».
Das Land habe für ein Ende des «business as usual» gestimmt, sagte Gove. Der kommende Regierungschef müsse auf der «Gewinnerseite» der Auseinandersetzung um den Brexit stehen. Er wolle sicherstellen, dass die «Anweisungen des britischen Volkes» ausgeführt werden.
Knapp 52 Prozent der Briten hatten am Donnerstag vergangener Woche für den EU-Austritt gestimmt. Cameron kündigte daraufhin an, bis Oktober zurückzutreten.
Auch Goves Kabinettskollegin Theresa May hatte sich dafür ausgesprochen, den Antrag für den EU-Austritt erst im kommenden Jahr einzureichen. Die Innenministerin, die gegen den Brexit Wahlkampf gemacht hatte, bewirbt sich ebenfalls parteiintern um die Cameron-Nachfolge.
May in der Pole-Position
Nach Einschätzung der konservativen Tageszeitung «Daily Telegraph» ist May die Favoritin für die Nachfolge. Sie habe die Unterstützung von mehr als 60 Tory-Abgeordneten und neun Ministern, schrieb die Zeitung am Freitag. Die «Daily Mail» titelte, das Haus der Konservativen stehe «in Flammen», May werde zu seiner Rettung benötigt.
Insgesamt gibt es fünf Bewerber um die Cameron-Nachfolge. Als chancenreich gilt neben May besonders der 48-jährige Justizminister. Gove meldete seine Kandidatur am Donnerstag kurzfristig an und trug damit offensichtlich zum Verzicht des ehemaligen Londoner Bürgermeisters Boris Johnson bei, mit dem er zuvor zusammen für den Brexit geworben hatte. Die drei übrigen Bewerber sind Arbeits- und Rentenminister Stephen Crabb, Ex-Verteidigungsminister Liam Fox und die Staatssekretärin für Energie, Andrea Leadsom.
Das parteiinterne Wahlverfahren sieht vor, dass die Tory-Abgeordneten das Bewerberfeld auf zwei verbleibende Kandidaten reduzieren. Über diese sollen dann die rund 150’000 Parteimitglieder bis zum 9. September per Briefwahl abstimmen. In Grossbritannien wird der Chef der grössten im Parlament vertretenen Partei traditionell als Regierungschef gewählt.