Briefe aus dem Lustgewerbe

Was suchen Männer bei Prostituierten? Zuschriften aus dem Milieu des ältesten Gewerbes der Welt zeigen: Vielen Freiern geht es gar nicht um Sex.

People enjoy the Red Light District in Amsterdam in the Netherlands, pictured on April 15, 2007. The Amsterdam Red Light District covers a large area of the oldest part of the city. Dating back to the 14th Century when sailors arrived in need of some female company, the district is full of sex shops, brothels, gay bars, cinemas, hotels and different kinds of museums. This infamous part of the city is a major tourist attraction. (KEYSTONE/Alessandro Della Bella) (Bild: ALESSANDRO DELLA BELLA)

Was suchen Männer bei Prostituierten? Zuschriften aus dem Milieu des ältesten Gewerbes der Welt zeigen: Vielen Freiern geht es gar nicht um Sex.

Rund jeder fünfte Mann nimmt mindestens einmal jährlich Dienste des horizontalen Gewerbes in Anspruch, schätzt die Aidshilfe Schweiz. Genaue Zahlen dazu gibt es aber nicht.

Ebenfalls wenig weiss man darüber, warum die Männer überhaupt zu Sexarbeiterinnen gehen. «Den typischen Freier gibt es nicht», sagt Nicole Wehrle von der Aidshilfe beider Basel, die als Mitarbeiterin des «Don Juan»-Programms regelmässig Kontakt mit Freiern pflegt. Die Gründe für den Besuch von Prostituierten seien vielfältig: «Manche suchen eine diskrete Zuhörerin, anderen fehlt schlicht Sexualität.»

Auf Gemeinsamkeiten stösst man, wenn man auf Spurensuche geht. Und zwar nicht unbedingt auf die, die man erwarten würde. Sonja*, die eine Zeitlang als Escort-Dame arbeitete, veröffentlichte vor einigen Jahren mehrere Anzeigen in einem Sexanzeiger. Aus den Inseraten wird klar: Es geht um Sex für Geld. Aber nicht nur, wie die vielen Zuschriften von Freiern zeigen.

Um Sex geht es allenfalls kurz

Sonja hat die Antworten auf ihre Chiffre-Anzeigen gesammelt, sie füllen mehrere Ordner. In den Zuschriften, die sie bekommen hat, geht es auch ums Praktische, könnte man meinen: Wer, wann, wo, was, wie viel.

Weit gefehlt. In den teilweise seitenlangen Briefen ist vor allem die Rede von stimmungsvollen Abendessen, gegenseitiger Sympathie, Verständnis. Das Wort «Sex» taucht so gut wie nie auf. Dafür «Liebe», «Bekanntschaft», «Kennenlernen». Ausführlich beschrieben sind meist nur sehr ausgefallene Wünsche.

«Das höchste Gut der Prostitution ist die absolute Diskretion. So was wie ein Schweizer Nummernkonto», sagt die ehemalige Escort-Dame Sonja.

«Ich weiss, dass Du Zärtlichkeit und Verständnis brauchst», schreibt jemand. «Ich möchte Dich gerne zum Tanz ausführen», ein anderer. Jede Frau, die sich schon einmal in einem Dating-Forum über eindeutige Kontaktanfragen geärgert hat, wird sich jetzt vermutlich verwundert die Augen reiben.

Geld kommt in den Zuschriften oft nur am Rande vor. «Es dürfte sich erübrigen, zu sagen, dass ich für sämtliche Kosten grosszügig aufkomme», schreibt ein Mann. «Dir aus finanziellen Schwierigkeiten helfen», möchte ein anderer. Ein Briefschreiber bemerkt trocken: «Mit meinem Unkostenbeitrag möchte ich bis zu unserem nächsten Treffen warten.» Gut, so ernst nehmen muss man das nicht, scheinen doch alle schreibenden Herren Mitte 30, schlank und sportlich zu sein.

«Kein Freier sieht sich als Freier»

Ein bisschen Show ist Teil dieses Gewerbes. So schreibt etwa jemand, dass er käuflichen Sex «aus Prinzip» nicht befürwortet – um einige Zeilen später eine ausführliche Liste seiner Preisvorstellungen aufzuführen. Vergleichsweise ehrlich ist einer, der schreibt: «Weil zu Hause Funkstille ist, muss ich fremdgehen.» «Sex von der Stange» möchten mehrere Briefschreiber ausdrücklich nicht, «abgefertigt werden» auch nicht.

Nach mehreren Dutzend Seiten ist klar: Hier geht es meistens wenig um bezahlten Sex, dafür viel um – ja, was eigentlich? Sonja zuckt mit den Achseln. «Kein Freier sieht sich als Freier. Wir verkaufen eine Illusion.»

Eine Sehnsucht, die nie ganz erfüllt wird

Zwischen dem heimischen Schlafzimmer und einem Bordell gebe es kaum Unterschiede, sagt die ehemalige Sexarbeiterin Simone in einem kürzlich veröffentlichten Interview auf krautreporter.de. Sie findet das traurig.

Sex im Puff sei wie zu Hause, sagt auch Sonja, «nur ohne Liebe, wenn man mal Freier mit speziellen Interessen weglässt». Der Durchschnittsfreier suche mehr das aussergewöhnliche Erlebnis als schnellen Sex: eine (bezahlte) Geliebte, die sich am besten auch nach Monaten noch an ihn erinnere, was natürlich illusorisch sei. «Viele glauben auch, wir Profis hätten ein spezielles Geheimnis. Es gibt aber keines.»

«Unser Job ist es herauszufinden, was sich ein völlig Unbekannter unter aufregendem Sex vorstellt», sagt Sonja. Eine Sehnsucht, die freilich niemals ganz erfüllt wird, sonst käme der Kunde ja nicht wieder. «Wenn jemand möchte, dass die Frau auf ihre Kosten kommt, bekommt er eben das. Natürlich ist das gespielt». Der Rest ist Selbsttäuschung.

Falsche Vertrautheit

Realitätsverlust kann auch gefährlich werden. «Freier leben oft in der Vorstellung einer persönlichen Beziehung zu einer Sexarbeiterin», sagt Nicole Wehrle von der Basler Aidshilfe. «Es gibt immer wieder Männer, die davon ausgehen, dass sie die Einzigen sind, die ohne Kondom bedient werden. Dafür zahlen sie dann auch gerne mehr.» Dass die grosse Vertrautheit womöglich nur Ausdruck einer gestiegenen Miete ist, die mit einem höheren Einkommen kompensiert werden muss, wird verdrängt.

Vielen Männern geht es wohl auch um Gefühle auf Zeit. Gleichgültigkeit sei eher der Normalfall, sagt Rebecca Angelini von der Fachstelle Frauenhandel und Frauenmigration, «den meisten ist die Befindlichkeit der Frau ziemlich egal».

Sonja findet beinahe alle Männer, die ihr geschrieben haben, naiv. Fast alle Briefe enthalten Angaben über Aussehen, Adresse, Beziehungsstatus. Viele Briefschreiber geben gleich ihre Telefonnummer mit an. Einer schrieb der «unbekannten Schönen» sogar auf dem Briefpapier der Firma, in der er arbeitet. Schlimm sei das nicht, sagt Sonja: «Das höchste Gut der Prostitution ist die absolute Diskretion. So was wie ein Schweizer Nummernkonto.»

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*Name der Redaktion bekannt.

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