Es soll eine der grössten Privatisierungsaktionen in Grossbritannien seit Jahrzehnten werden: Die Royal Mail geht an die Börse. Premier Cameron greift auf die Rezepte seiner Vorgängerin Margaret Thatcher zurück.
Aktien der Royal Mail könnten noch im Herbst frei gehandelt werden, sagte Premierminister David Cameron am Mittwoch im Parlament. «Dies ist eine logische, wirtschaftliche Entscheidung. Sie soll die Zukunft der Royal Mail auf lange Sicht nachhaltig gestalten», sagte Wirtschaftsminister Vince Cable.
Zehn Prozent der Aktien, deren Gesamtwert auf bis zu drei Milliarden Pfund (4,3 Mrd. Franken) geschätzt wird, sollen für die derzeit 150’000 Royal-Mail-Beschäftigten reserviert werden. Die Regierung entschied sich gegen einen Verkauf an einen Investor.
Die Gewerkschaften stehen dem Schritt ausgesprochen kritisch gegenüber. Sie fordern ihre Mitglieder auf, die Aktien nicht zu kaufen. «Kauft nicht, was Euch schon gehört», hiess es auf Plakaten.
Die Labour-Opposition kritisierte, dass die Regierung zuvor den Pensionsfonds der Royal Mail und damit langfristige Zahlungsverpflichtungen verstaatlicht hat. «Sie haben Schulden verstaatlicht, jetzt wollen sie Profite privatisieren», sagte Labours Wirtschaftsexperte Chuka Umunna.
Wie die «Eiserne Lady»
Die Regierung greift damit inmitten einer weiterhin schweren Schuldenkrise auf politische Mittel aus der Zeit Margaret Thatchers zurück.
Die «Eiserne Lady» hatte in den 1980er Jahren mit einer bis dahin nicht dagewesenen Privatisierungswelle versucht, die Staatsfinanzen zu ordnen und vor allem Versorgungsunternehmen in private Hände gegeben. Grossbritannien gilt heute als eines der am meisten deregulierten Länder Europas.
Die Privatisierung der Royal Mail, die in Grossbritannien als Heiligtum gilt, hatte sie jedoch ebenso wenig vorangetrieben wie ihre Nachfolger John Major oder Tony Blair.
Die Royal Mail arbeitet nach einer Phase der Umstrukturierung inzwischen wirtschaftlich profitabel. Experten sehen aber noch immer grosse strukturelle Probleme. So hinkt die Wirtschaftlichkeit um etwa 30 Prozent hinter der internationalen Konkurrenz zurück.
Durch den Wechsel zu E-Mail und anderen elektronischen Diensten verlor der Brief- und Paketreise ein Viertel seines Geschäftes. Der Boom im Online-Versandhandel konnte dies nur zum Teil kompensieren.