Der Schauspieler Bruno Ganz hat im Berlinale-Wettbewerb in einer norwegischen Krimikomödie als Gangster überrascht. Der 72-Jährige war am Montag neben dem Schweden Stellan Skarsgård in der überdrehten Räubergeschichte «Kraftidioten» zu sehen.
Der schwarzhumorige Streifen des Norwegers Hans Petter Moland dreht sich um einen Vater (Skarsgård), der die Schuldigen für den Tod seines Sohnes sucht. Er gerät ins Drogenmilieu und bringt zwei rivalisierende Banden gegeneinander auf.
Einer dieser Gangsterbosse wird von Bruno Ganz gespielt. Mit starken Überzeichnungen treibt Moland seine Gewaltspirale immer weiter an, was zwar nicht immer wirklich ausbalanciert, dafür aber über weite Strecken durchaus unterhaltsam ist.
Deutlich ernstere Töne schlug der chinesische Beitrag «Blind Massage» an. Regisseur Lou Ye, der für seine früheren regimekritischen Werke in China mehrfach Arbeitsverbote erhielt, wählt darin einen subtilen Weg, um soziale Missstände aufzuzeigen.
Sein Sozialdrama erzählt von einer Gruppe blinder Masseurinnen und Masseure im modernen China. Sie leben zwar von der Gesellschaft fast völlig abgeschottet, stellen gleichzeitig aber auch ein Abbild von ihr dar. Neben Freundschaften und Liebesbeziehungen gehören Ausgrenzung, Isolation, Kriminalität, Betrug und Gewalt dazu.
Lou Ye, der vor gut zehn Jahren mit «Summer Palace» die Ereignisse rund um das Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens von 1989 kritisch beleuchtete, drehte dieses Mal mit sehbehinderten und sehenden Laien- und Profidarstellern.
Sucht, Selbsthass und Begierde
Bei den 64. Filmfestspielen konkurrieren 20 Filme im Wettbewerb. Ausser Konkurrenz lief am Sonntagabend «Nymphomaniac Volume I» von Lars von Trier («Breaking the Waves»). Der in Vorberichten teilweise als Hardcore-Porno angekündigte Film erwies sich eher als Erbauungsgeschichte und wurde lautstark gefeiert.
Ein Skandal, wie ihn der dänische Regisseur 2011 in Cannes mit Nazi-Äusserungen losgetreten hatte, blieb in Berlin aus. Nach den ersten knapp zweieinhalb Stunden seines Psychodramas über Sucht, Selbsthass und Begierde hechtete von Trier auf die Bühne, winkte und rief dann sofort die anwesenden Darsteller zu sich auf die Bühne.
Charlotte Gainsbourg, die in dem Film als mittlerweile 50-jährige Joe ihre Lebensgeschichte als Sexsüchtige dem Unbekannten Seligman (Stellan Skarsgård) offenbart, war nicht zur Weltpremiere gekommen.
So erwies sich Stacy Martin in der Rolle der Joe als Star des Abends. Mit irritierender Gleichgültigkeit gibt sich die junge Frau der Sucht hin, nur selten schimmert Lebensfreude durch. Seligman, der die arg zugerichtete Joe Jahre später in einer düsteren Gasse aufspürt, bietet sich der Frau als geduldiger Zuhörer an.
Büchernarr und Nymphomanin
Zwischen den Kapiteln des Lust- und Leidenswegs unternimmt Seligman Ausflüge in die europäische Geistesgeschichte: Vom Schwarmverhalten der Flussfische über die mathematische Sequenz der Fibonacci-Zahlen bis zu Johann Sebastian Bach – Trieb und Bildung bilden den Kern des Rahmendialogs zwischen dem Büchernarr und der Nymphomanin.
Die wohl komischste Szene liefert Uma Thurman, die als betrogene Ehefrau mit ihren drei kleinen Söhnen in Joes Wohnung eindringt. Sie will den Kindern das «Hurerei-Bett» zeigen: «Das hilft ihnen später bei der Trauma-Überwindung». Auch der siechende Tod von Joes Vater (Christian Slater) zählt zu den berührenden Momenten des Films.
Wie die Story ausgeht, blieb für das Berlinale-Publikum allerdings offen. Mit dem 145 Minuten langen «Director’s Cut» zeigte von Trier nur den erweiterten ersten Teil der Sex-Saga. In der Deutschschweiz startet «Volume I» am 27. Februar, den zweiten Teil (Volume II) können Kinogänger ab 3. April sehen.