Das Swiss Medical Board (SMB), ein medizinisches Fachgremium, äussert sich skeptisch zu flächendeckenden Brustkrebs-Screenings für Frauen ab 50 Jahren. Aus Sicht des Gremiums richten die Programme mehr Schaden als Nutzen an.
Diese Mammografie-Programme sind für Frauen im Alter zwischen 50 und 70 Jahren vorgesehen. Dabei werden die Brüste in einem Intervall von zwei Jahren geröntgt. Ziel ist die frühzeitige Erkennung von Tumoren.
Das Swiss Medical Board, eine Vereinigung von Fachärzten und Wissenschaftlern, stuft den Nutzen eines systematischen Screenings jedoch als zu gering ein. Unter 1000 Frauen, die ihre Brüste regelmässig röntgen liessen, werde im Lauf von zehn Jahren bei lediglich einer Frau ein Todesfall verhindert. Vier untersuchte Frauen würden im selben Zeitraum dennoch an Brustkrebs sterben.
Dies schreibt das Gremium in einem am Sonntag veröffentlichten Bericht, der auf der Analyse mehrerer Studien gründet. Über den Bericht hatte auch die «NZZ am Sonntag» berichtet.
Das Gremium stellt der beschränkten Wirkung dieses medizinischen Verfahrens die unerwünschten Nebenwirkungen gegenüber. So komme es bei rund jeder zehnten Frau, die an solchen Screening-Programmen teilnehme, zu Fehlbefunden. Die Folgen seien unnötige Behandlungen und Kosten.
Fehldiagnosen und Überbehandlungen
Besonders kritisch ist aus Sicht der Fachleute vor allem, dass die Screenings in vier Prozent der Fälle fälschlicherweise positive Befunde zeigten. Die folgenden Behandlungen und Abklärungen lösten bei den behandelten Frauen Ängste aus und beeinträchtigten deren psychisches Wohlbefinden und die Lebensqualität.
Auch wird laut dem Bericht bei bis zu zehn Prozent der Frauen ein «Brustkrebs» im Vorstadium diagnostiziert, der den Betroffenen ein Leben lang nie Probleme mache.
Das Swiss Medical Board, das unter anderem von der Ärzteschaft FMH mitgetragen wird, kommt deshalb zum Schluss: «Es wird nicht empfohlen, systematische Mammografie-Screening-Programme einzuführen.»
Öffentliche Debatte
Flächendeckende Screenings sind bereits in mehreren Schweizer Kantonen eingeführt worden – so etwa in vielen Ostschweizer und Westschweizer Kantonen. Andere haben eine Einführung bereits beschlossen, wie die «NZZ am Sonntag» schreibt.
Peter Suter, Präsident des Swiss Medical Boards, sagte im Interview mit der «NZZ am Sonntag», das Gremium wolle mit diesem Bericht eine Diskussion über das Thema anstossen und die Reaktionen darauf öffentlich debattieren. «Möglicherweise werden manche Kantone ihre Praxis und ihre Pläne diesbezüglich überdenken», so Suter.
Bei den Mammografie-Screenings sei die Gegenüberstellung von Nutzen und Nebenwirkungen zentral. «Es muss in Zukunft darum gehen, unnötige Untersuchungen und Behandlungen zu vermeiden, damit wir mit unseren Mitteln auskommen und eine möglichst gute Medizin anbieten können», sagte Suter.
Kritik von der Krebsliga
Erste Reaktionen fielen am Sonntag sehr kritisch aus. Die Krebsliga Schweiz zeigte sich «erstaunt» über die Empfehlungen des SMB. Ohne neue Daten und mit umstrittener Methodik überzeuge der Bericht des Fachgremiums nicht, hiess es in einer Stellungnahme der Krebsliga.
Bei kontrollierten Mammografie-Screening-Programmen würden die Vorteile überwiegen. Die Liga sieht derzeit keinen Grund, von ihrer Haltung abzuweichen.
Der Verband swiss cancer screening äusserte sich in einem Communiqué «konsterniert» über die Befunde des SMB. Bei gleichem Forschungsstand komme das Gremium zu anderen Schlussfolgerungen als nationale und internationale Organisationen, schreibt der Dachverband Schweizerischer Brustkrebs-Früherkennungsprogramme.
Ein qualitätskontrolliertes Programm trage zu einer Reduktion der Sterblichkeit bei Brustkrebs bei. Die Empfehlungen des SMB seien inakzeptabel, heisst es weiter. Der Verband fordert die Kantone auf, qualitätsgesicherte Programme weiterzuführen oder aufzubauen.
In der Schweiz erkranken laut dem Swiss Medical Board pro Jahr rund 5’400 Frauen an Brustkrebs. Rund 1’400 Frauen sterben jährlich an dieser Erkrankung.