Wenn die Wahlberechtigten in den EU-Staaten ihre Abgeordneten fürs EU-Parlament wählen, dürften viele ihre Stimmen den Rechtspopulisten und Europaskeptiker geben. Dennoch werden die etablierten Parteien weiterhin die Mehrheit stellen.
Ab Donnerstag bis Sonntag wählen die 63 Millionen Wahlberechtigten in allen 28 EU-Staaten ihre 751 Abgeordneten fürs EU-Parlament. Als erste gehen die Niederländer und die Briten an die Urnen, die letzten sind die Italiener. Ihre Wahlbüros schliessen am Sonntagabend.
«Freie Schweiz» und «Stopp der europäischen Diktatur über ihre Völker» – mit diesen Parolen gab der Italiener Mario Borghezio von der Lega Nord nach der Annahme der Zuwanderungs-Initiative im EU-Parlament seinem Unmut über die EU freien Lauf. Dazu schwenkte der Abgeordnete eine Schweizer Fahne. Borghezios Aktion steht für die Haltung vieler Menschen in der EU. Frustriert von der Krise in Europa werden viele EU-Bürger Rechtspopulisten und Europaskeptiker ins EU-Parlament wählen.
So werden dem französischen rechtsextremen Front National (FN) und der niederländischen «Partei für die Freiheit» grosse Chancen attestiert. In Grossbritannien könnte die rechtspopulistische United Kingdom Independence Party (UKIP) bei der Europawahl triumphieren.
Rechtspopulisten und Euroskeptiker erstarken
Auch in nord- und osteuropäischen Staaten sowie in Griechenland wird ein Erstarken der rechtspopulistischen oder europaskeptischen Parteien erwartet. In Deutschland hoffen die Republikaner und die rechtsextreme NPD auf den Einzug ins Parlament. Vor allem aber die eurokritische Alternative für Deutschland (AfD) darf sich gute Chancen ausrechnen.
Trotz des Erstarkens der Populisten werden jedoch die etablierten Parteien für die nächsten fünf Jahre weiterhin die Mehrheit im EU-Parlament stellen.
Die beiden grössten Parteien, die Konservative Europäische Volkspartei (EVP) und die Sozialdemokratische Partei Europas (SPE), liefern sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Gemäss letzten Umfragen haben die Konservativen mit 212 Sitzen die Nase gegenüber den Sozialdemokraten (209 Sitze) leicht vorn.
Zum ersten Mal Spitzenkandidaten
Dieses Mal gebührt der Europawahl besondere Aufmerksamkeit. Denn das EU-Parlament hat seit dem 2009 in Kraft getretenen Lissabon-Vertrag nicht nur an Macht dazugewonnen, laut dem Vertrag müssen die Staats- und Regierungschefs ausserdem das Ergebnis der Europawahl «berücksichtigen», wenn sie den neuen Chef der EU-Kommission vorschlagen.
Aussichtsreichste Kandidaten für den Spitzenposten sind der luxemburgische Ex-Premier Jean-Claude Juncker (EVP) und der amtierende EU-Parlamentspräsident Martin Schulz (SPE) aus Deutschland.
Läuft alles nach Plan, erhält nach der Wahl der Spitzenkandidat – idealerweise jener, dessen Partei am besten abgeschnitten hat – die Unterstützung der 28 EU-Staats- und Regierungschefs. Das neue Parlament würde daraufhin diesen als Nachfolger von José Manuel Barroso bestätigen.
Verzögerungen bei Präsidentenkür gut möglich
Da jedoch das ganze Prozedere zum ersten Mal durchgeführt wird, kann es durchaus zu Verzögerungen kommen – etwa bei unklaren Mehrheitsverhältnissen im Parlament. Denn der künftige EU-Kommissionspräsident muss die Stimmen von mindestens 376 der 751 Abgeordneten erhalten.
Auch Unstimmigkeiten im Europäischen Rat – im Gremium der Staats- und Regierungschefs – über die Kandidatenauswahl kann das Ganze in die Länge ziehen.
Gar zu einer Totalblockade kommt es, wenn sich der Europäischer Rat und das EU-Parlament nicht einig werden. Denn das im Lissabon-Vertrag stehende «berücksichtigen» dürfte vom EU-Parlament weit zwingender interpretiert werden als von den Staats- und Regierungschefs.