Die als allgemeine Anregung formulierte Initiative für nur noch eine Fremdsprache in Bündner Primarschulen kann so umgesetzt werden, dass sie nicht offensichtlich gegen übergeordnetes Recht verstösst. Dies hat das Bundesgericht in einer öffentlichen Beratung befunden.
Das Urteil der ersten öffentlich-rechtlichen Abteilung des Bundesgerichts fiel mit drei zu zwei Stimmen knapp aus. Die Mehrheit der Richter stellte sich auf den Standpunkt, dass es keinen offensichtlichen Widerspruch zu übergeordnetem Recht gibt.
Ein solcher muss im Kanton Graubünden jedoch vorliegen, damit eine als allgemeine Anregung eingereichte Initiative für ungültig erklärt werden darf.
Die drei Bundesrichter sehen das in der Bundesverfassung festgeschriebene Diskriminierungsverbot und das Gleichbehandlungsgebot nicht verletzt.
Gemäss Initiative soll in den deutschsprachigen Teilen Graubündens auf Primarschulstufe Englisch als erste Fremdsprache unterrichtet werden. In den romanisch- und italienischsprachigen Regionen soll hingegen Deutsch gelernt werden.
Ende der Schulzeit entscheidend
Mit einer solchen Fremdsprachenregelung würden zum Ende der Primarschule zwar nicht alle Schüler und Schülerinnen gleichwertige Sprachkenntnisse aufweisen, hielten die Richter fest. Entscheidend sei aber der Ausbildungsstand nach Beendigung der gesamten obligatorischen Schulzeit.
In der Oberstufe könne dann durchaus eine zweite Fremdsprache gelernt werden. Die Initiative beziehe sich nur auf die Primarschulstufe. Wie das Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden, weisen auch die Lausanner Richter darauf hin, dass bei einer Annahme der Initiative das Anbieten einer freiwilligen zweiten Fremdsprache nicht ausgeschlossen sei.
«Offensichtliche Diskriminierung»
Von einem offensichtlichen Verstoss gegen das Diskriminierungsverbot gingen hingegen die zwei aus dem Tessin und dem Kanton Waadt stammenden Richter aus. So müssten die italienisch- und romanischsprachigen Schüler auf der Oberstufe bedeutend mehr Englisch lernen, um auf den gleichen Stand zu kommen, wie ihre deutschsprachigen Kollegen.
Ausserdem müssten die Minderheiten in der Primarschule die Sprache der Mehrheit lernen, während diese in Englisch unterrichtet werde. Die Diskriminierung springe ins Auge, so die beiden Richter. Auch müsse die Bündner Kantonsverfassung beachtet werden, welche die Gleichwertigkeit aller drei Kantonssprachen festschreibe.
Exekutive für Ungültigkeit
Die Bündner Regierung hatte dem Grossen Rat beantragt, die Initiative für ungültig zu erklären. Sie stützte sich dabei auf ein in Auftrag gegebenes Gutachten der Universität St. Gallen.
Im April 2015 folgte der Grosse Rat dem Antrag der Exekutive mit 82 zu 34 Stimmen. Die Initianten zogen jedoch vor das Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden und erhielten Recht.
Die Initianten sind erfreut über die Bestätigung des Urteils des Verwaltungsgerichts, wie sie in einer Mitteilung vom Mittwoch schreiben. Nun könne das Volk darüber entscheiden, wie viele Sprachen auf der Primarschulstufe unterrichtet werden sollen. (Sitzung 1C_267/2016 vom 03.05.2017)