Der Bundesrat will die Altersvorsorge grundlegend reformieren. Er hat Sozialminister Alain Berset am Mittwoch den Auftrag erteilt, die Details auszuarbeiten. Die Renten sollen nicht sinken, doch sollen die Arbeitstätigen länger arbeiten – auch die Frauen.
Bersets Pläne waren bereits am Dienstag durchgesickert. Nun hat der Bundesrat sie gutgeheissen. Nach verschiedenen gescheiterten Reformprojekten will er die erste und die zweite Säule – die AHV und die Berufliche Vorsorge (BVG) – in einem Gesamtpaket reformieren.
Berset sprach am Mittwoch vor den Medien von einem „Paradigmenwechsel“. Der Bundesrat habe Lehren gezogen aus dem Volksnein zur Senkung des BVG-Umwandlungssatzes und dem Nein des Parlaments zur AHV-Reform. Die Erfahrungen hätten gezeigt, dass eine Reform nur möglich sei, wenn die Renten nicht sinken würden.
Immer mehr Rentnerinnen und Rentner
Nicht verändert hat sich jedoch die Ausgangslage: Damit die Altersvorsorge bei steigender Lebenserwartung und immer mehr Pensionierten im Verhältnis zu Aktiven längerfristig finanziert werden kann, sind Korrekturen nötig.
Die AHV bezahle einer Rentnerin heute im Schnitt acht Jahresrenten mehr als bei der Gründung des Sozialwerkes, sagte Jürg Brechbühl, der Direktor des Bundesamtes für Sozialversicherungen. Die Finanzierungsprobleme kämen nach den aktuellen Prognosen zwar später als angenommen. Allzu viel Zeit bleibe aber nicht.
Höheres Rentenalter
Bei den Massnahmen bringt der Sozialminister keine grundlegend neuen Ideen ins Spiel: An erster Stelle steht die Erhöhung des Frauenrentenalters von heute 64 auf 65 Jahre. Allerdings will der Bundesrat nicht mehr von „Rentenalter“, sondern von „Referenzalter“ sprechen. Der Zeitpunkt der Rente soll nämlich flexibel sein, wobei das „effektive Rücktrittsalter“ steigen soll.
Wer sich mit 65 Jahren pensionieren lässt, würde die vollen Leistungen erhalten, wer früher oder später in den Ruhestand tritt, müsste eine Reduktion hinnehmen oder erhielte einen Zuschlag. In der beruflichen Vorsorge soll zudem das frühestmögliche Rücktrittsalter, das heute bei 58 Jahren liegt, angehoben werden.
Senkung des Umwandlungssatzes
Auf der anderen Seiten sollen aber auch Personen mit tiefem Einkommen die Möglichkeit haben, sich vor dem Referenzalter pensionieren zu lassen. Der Bundesrat will damit der Erkenntnis Rechnung tragen, das schlechter Qualifizierte eine tiefere Lebenserwartung haben als besser Qualifizierte.
Weiter will der Bundesrat den BVG-Umwandlungssatz senken, von dem die Höhe der Renten abhängt. Auch hier will er aber das Leistungsniveau garantieren. Dies bedeutet, dass die Erwerbstätigen früher als heute mit dem Sparen beginnen und höhere Beiträge einzahlen müssen. Für jene, die kurz vor der Rente stehen, soll es Übergangsbestimmungen geben.
Höhere Mehrwertsteuer für die AHV
Prüfen soll Berset ausserdem eine Zusatzfinanzierung für die AHV. Da eine Erhöhung der Lohnabzüge nur die Erwerbstätigen belastet, zieht Berset eine Finanzierung über die Mehrwertsteuer vor. Beide Massnahmen könnten aber kombiniert werden, schreibt das Innendepartement (EDI). Um wie viel die Mehrwertsteuer erhöht würde, ist noch offen.
Der Bundesrat will für die AHV auch eine Art Schuldenbremse einführen, wie dies das Parlament gefordert hat. Berset schwebt eine ähnliche Regelung vor, wie sie bei der IV geplant ist. Sinkt der AHV-Fonds unter eine bestimmte Schwelle, muss der Bundesrat Sanierungsmassnahmen vorschlagen. Wird eine weitere Schwelle erreicht, werden automatisch die Renten gekürzt und die Lohnbeiträge erhöht.
Aufsicht verstärken
Schliesslich will der Bundesrat die Aufsicht über die in der beruflichen Vorsorge tätigen Lebensversicherer erweitern und die Pensionskassen zu Transparenz verpflichten. Sie sollen Rückstellungen und Verwaltungskosten offenlegen müssen. Wenn das Vertrauen fehle, könne die Reform nicht gelingen, gab Berset zu bedenken. Auch das hätten die Versuche in der Vergangenheit gezeigt.
An der Medienkonferenz wurde der SP-Bundesrat gefragt, inwiefern die Pläne die Handschrift eines Linken trügen und ob sich nicht auch der Feder seines Vorvorgängers Pascal Couchepin entsprungen sein könnten. Berset antwortete darauf, ohne Kompromisse werde es nicht gehen. Ausserdem seien keine Rentensenkungen geplant. „Und was das Rentenalter betrifft, standen auch schon andere Zahlen zur Diskussion.“ Couchepin hatte das Rentenalter 67 ins Spiel gebracht.
Im kommenden Sommer soll Berset dem Bundesrat Details vorlegen. Die Vernehmlassung ist für Ende 2013 geplant, in Kraft treten sollen die Massnahmen 2019 oder 2020. Das Vorziehen einzelner Punkte – etwa zum Frauenrentenalter oder dem Umwandlungssatz – kommen für Berset nicht in Frage. Er zeigte sich überzeugt, dass nur ein Gesamtpaket mehrheitsfähig ist.