Der Bundesrat will keine Regeln zu Kruzifixen und Kopftüchern in Schulzimmern oder Gefängnissen erlassen. Konflikte sollen pragmatisch gelöst werden, von den betroffenen Institutionen.
Der Bundesrat erhofft sich von einem solchen Vorgehen bessere Ergebnisse als mit starren Rechtsvorschriften, wie aus einem am Freitag verabschiedeten Bericht hervorgeht. Er sehe keinen gesetzgeberischen Handlungsbedarf im Umgang mit getragenen und an Bauten angebrachten religiösen Symbolen.
Behörden und Institutionen seien in der Regel gut in der Lage, situationsgerechte und praktikable Lösungen zu finden. In den wenigen Fällen, in welchen der Rechtsweg beschritten werde, gelinge es den Gerichten, zwischen individuellen Grundrechtsansprüchen und gesellschaftlichen Interessen eine vernünftige Balance zu halten. Ausserdem habe sich der föderalistische Ansatz bewährt.
Religiöse Symbole weit verbreitet
Die Regierung stützt ihre Einschätzung auf eine Studie, die sie beim Schweizerischen Kompetenzzentrum für Menschenrechte in Auftrag gab. Dieses untersuchte die Rechtsprechung und befragte Institutionen, Wissenschaftler sowie Personen aus religiösen Traditionen.
Gemäss der Erhebung sind in mehr als der Hälfte der öffentlichen Gebäude religiöse Symbole angebracht, besonders häufig in Spitälern. In den katholischen Kantonen ist zudem die Mehrheit der Schulgebäude mit religiösen Symbolen ausgestattet. Dort gibt es auch viele Schulen, in welchen Mitarbeitende religiöse Kopfbedeckungen tragen. Das dürfte mit unterrichtenden Ordenspersonen zusammenhängen.
Gerichtsfälle selten
Konflikte in einem weiteren Sinne traten in 39 Prozent der befragten Institutionen auf, am häufigsten in Strafanstalten. In den meisten Fällen wurde eine Lösung gefunden. Nur gerade 9 Prozent der Konflikte führten zu einem rechtlichen Verfahren.
Wer sich an religiösen Symbolen stört oder sich gegen eine Anordnung wehren will, solche zu entfernen, kann sich auf die Glaubens- und Gewissensfreiheit berufen. Die Gerichte prüfen dann, ob eine Verletzung dieses Grundrechts vorliegt.
Kruzifixe trotz Verbots
Das Bundesgericht hat sich verschiedentlich mit der Pflicht des Staats zur religiösen Neutralität auseinandergesetzt. So entschied es im Fall der Tessiner Gemeinde Cadro, dass das Aufhängen von Kruzifixen im Klassenzimmer dem Grundsatz der religiösen Neutralität der Schule widerspricht.
Dieses Urteil werde in der Praxis allerdings nur begrenzt umgesetzt, heisst es im Bericht. Der Tessiner Staatsrat vertritt die Auffassung, dass Kruzifixe in Eingängen und Korridoren von Schulhäusern weiterhin erlaubt sind. Im Kanton Wallis sind Kreuze und Kruzifixe auch in Schulzimmern verbreitet.
Mehrere Kopftuch-Urteile
Zum Kopftuch hat das Bundesgericht differenziert geurteilt. Einerseits hat es entschieden, dass Lehrerinnen das Tragen eines Kopftuchs an öffentlichen Schulen untersagt werden kann. Andererseits erachtet es ein allgemeines Verbot für Schülerinnen als unverhältnismässig.
Die Rechtmässigkeit eines punktuellen Verbots, das sich auf ein überwiegendes öffentliches Interesse stützt, schloss das Bundesgericht aber nicht aus. Solche Interessen sind beispielsweise die Gewährleistung eines geordneten Schulbetriebs und die Wahrung des religiösen Friedens und die Integration der betroffenen Schülerinnen.
Burka-Verbot im Tessin
Die bundesgerichtliche Rechtsprechung habe bislang nicht zum Erlass von Gesetzesbestimmungen geführt, heisst es im Bericht. Dagegen bezögen sich Wegleitungen und Handreichungen für Schulen regelmässig auf sie. Der Kanton Tessin setzte zudem vergangenes Jahr ein Gesichtsverhüllungsverbot in Kraft. Über ein gesamtschweizerisches «Burka-Verbot» wird voraussichtlich das Stimmvolk entscheiden.
Ferner hat die Baselbieter Regierung im Zusammenhang mit dem Therwiler «Handschlag-Fall» eine Vorlage zur Änderung des Bildungsgesetzes in die Vernehmlassung geschickt. Diese sieht bei schwerwiegenden Fällen der Integrationsverweigerung eine Meldepflicht an die Schulbehörden vor.
Verbote könnten Konflikte schüren
Gegen gesamtschweizerische Regeln sprechen aus Sicht der für die Studie Befragten nicht zuletzt die grossen konfessionellen und kulturellen Unterschiede zwischen den Kantonen und ihrem von lokalen Traditionen geprägten Umgang mit religiösen Symbolen.
Auch sehen manche die Gefahr, dass gesetzliche Regelungen Konflikte auslösen statt beenden. Häufig hätten mit Religion in Verbindung gebrachte Konflikte keinen religiösen, sondern einen sozialen, familiären oder kulturellen Ursprung, hält das Kompetenzzentrum für Menschenrechte fest.
Mit dem Bericht erfüllte der Bundesrat einen Auftrag des Nationalrates, der einen Vorstoss von Thomas Aeschi (SVP/ZG) angenommen hatte.