Sozialversicherungen sollen bei Verdacht auf Missbrauch Detektive einsetzen dürfen. Der Bundesrat will dafür wie angekündigt eine einheitliche gesetzliche Grundlage schaffen. Die Missbrauchsbekämpfung soll generell verbessert werden.
Der Bundesrat hat am Mittwoch die Vernehmlassung eröffnet zu einer Revision des Sozialversicherungsrechts. In einem System obligatorischer Versicherungen sei das Vertrauen wichtig, schreibt er im Bericht dazu. Missbräuchliche Leistungen müssten möglichst ausgeschlossen werden.
Heute ist unter anderem die gesetzliche Grundlage für Observationen ungenügend. Das hatte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte letzten Herbst festgestellt. Ein neuer Gesetzesartikel soll nun den Versicherungen ermöglichen, Personen verdeckt zu observieren, wenn es konkrete Anhaltspunkte dafür gibt, dass diese Leistungen zu Unrecht beziehen oder zu beziehen versuchen.
Von öffentlichen Orten aus
Die versicherte Person darf nach dem Willen des Bundesrates nur observiert werden, wenn sie sich an einem allgemein zugängliche Ort befindet oder an einem Ort, der von einem solchen aus frei einsehbar ist. Eine Observation darf an höchstens 20 Tagen innerhalb von drei Monaten stattfinden.
Die Versicherung kann Spezialisten damit beauftragen. Spätestens vor Erlass der Verfügung über die Leistung muss sie die betroffene Person über die erfolgte Observation informieren. Die Aufbewahrung und Vernichtung des Observationsmaterials würde der Bundesrat regeln.
Keine Leistungen für Flüchtige
Weiter will der Bundesrat sicherstellen, dass verurteilte Personen, die sich dem Straf- oder Massnahmenvollzug entziehen, keine Leistungen erhalten. Künftig sollen Geldleistungen in solchen Fällen sistiert werden können.
Heute dürfen Zahlungen erst eingestellt werden, wenn sich die Person im Vollzug befindet. Das Bundesgericht gab einem IV-Rentner recht, der ins Ausland geflohen war, um sich dem Strafvollzug zu entziehen. Das Bundesverwaltungsgericht durfte seine Rente nicht sistieren.
Vorsorgliche Einstellung
Die Versicherungen sollen zudem die Ausrichtung von Leistungen vorsorglich einstellen können, wenn jemand die Meldepflicht verletzt hat, einer Kontrolle nicht fristgerecht nachgekommen ist oder der begründete Verdacht auf Missbrauch besteht. Die Versicherungen stellen schon heute Leistungen vorsorglich ein, doch beurteilen die Gerichte die Zulässigkeit dieser Massnahme unterschiedlich.
Hat eine versicherte Person mit wissentlich unwahren Angaben eine Versicherungsleistung erwirkt oder zu erwirken versucht, soll ihr die Versicherung künftig die Mehrkosten auferlegen können, die ihr durch den Beizug von Spezialisten entstanden sind.
Kostenpflicht neu regeln
Mit der Gesetzesrevision will der Bundesrat ausserdem die Systeme der sozialen Sicherheit der Schweiz und der EU besser koordinieren, etwa mit Bestimmungen zum elektronischen Datenaustausch. Daneben plant er eine neue Regelung der Kostenpflicht in kantonalen sozialversicherungsrechtlichen Gerichtsverfahren.
Alle Sozialversicherungen sollen den Parteien Gerichtskosten für Beschwerdeverfahren auferlegen können. Bisher war das einzig der IV möglich. Der Bundesrat schickt zwei Varianten in Vernehmlassung. Beide sehen eine Kostenpflicht für Beitragsstreitigkeiten vor. Bezüglich Leistungsstreitigkeiten schlägt der Bundesrat mit Variante 1 eine Lösung vor, die den Eigenheiten der einzelnen Versicherungen Rechnung trüge. Die Details würden in den Spezialgesetzen geregelt.
Fixer Kostenrahmen
Variante 2 sieht für die Leistungsstreitigkeiten einen fixen Kostenrahmen von 200 bis 1000 Franken vor. Wären die Voraussetzungen der unentgeltlichen Rechtspflege erfüllt, wäre das Beschwerdeverfahren für die Betroffenen weiterhin kostenlos.
Das Parlament hatte einer Motion zugestimmt, welche die Kostenpflicht für sämtliche Verfahren vor den kantonalen Sozialversicherungsgerichten vorsieht. Eine Umfrage bei den kantonalen Sozialversicherungsgerichten zeigte gemäss dem Bericht des Bundesrates jedoch, dass die Mehrheit der Gerichte gegen eine generelle Einführung einer Kostenpflicht ist.
540 Missbrauchsfälle bei der IV
Im Jahr 2015 hat die IV in 1900 Fällen Ermittlungen wegen Verdachts auf Versicherungsmissbrauch aufgenommen und insgesamt 1940 Ermittlungen abgeschlossen. Dabei bestätigte sich der Verdacht in 540 Fällen. Daraus resultierten Einsparungen von rund 154 Millionen Franken Franken, bei Kosten von rund 8 Millionen pro Jahr.
Die Betrugsbekämpfung sei aber längst nicht mehr nur ein Thema der IV, schreibt der Bundesrat. Auch die anderen Sozialversicherungen hätten ihre Bemühungen verstärkt.