Wer zu Stosszeiten auf Strasse oder Schiene unterwegs ist, könnte künftig mehr bezahlen müssen. Der Bundesrat will mit interessierten Kantonen und Gemeinden Pilotversuche mit Mobility Pricing durchführen.
Am Morgen und am Abend wird es eng in den Zügen, und auf den Strassen staut sich der Verkehr. Zu anderen Tageszeiten gibt es oft freie Kapazitäten. Mit Mobility Pricing soll diese schwankende Auslastung geglättet werden.
Wer heute zu Stosszeiten unterwegs sei, müsse leiden, sagte Verkehrsministerin Doris Leuthard am Donnerstag vor den Medien in Bern. Die Infrastruktur könne aber nicht auf die Spitzen ausgerichtet werden. Das Ziel sei es daher, die Kapazitäten besser zu nutzen und die Verkehrsspitzen zu brechen.
Nicht alle freiwillig unterwegs
Leuthard betonte, es gehe nicht um eine Bestrafung von Pendlerinnen und Pendlern. Mobilität solle erschwinglich bleiben. Der Bundesrat sei sich bewusst, dass nicht alle freiwillig zu Spitzenzeiten unterwegs seien. Viele müssten zur Arbeit und hätten somit keine Wahl.
Mobility Pricing sei für den Bund in erster Linie ein Instrument zur Lösung von Kapazitätsproblemen und nicht zur Finanzierung der Verkehrsinfrastruktur. Für Mobilität solle nicht mehr, sondern anders bezahlt werden.
Skepsis in der Anhörung
Der Bundesrat hatte vor rund einem Jahr den Entwurf eines Konzeptberichts in die Anhörung gegeben. Dieser stiess auf Skepsis. Die Kritiker wandten unter anderem ein, dass es an der nötigen Flexibilität fehle, um Spitzenstunden zu meiden. Die Lenkungswirkung sei ungewiss.
Laut dem Verkehrsdepartement (UVEK) stehen die meisten Kantone, Parteien und Verbände der Idee aber «grundsätzlich positiv» gegenüber. Der Bundesrat will diese daher weiterverfolgen. Als nächstes wird das UVEK die Möglichkeit von Pilotprojekten prüfen und die rechtlichen Rahmenbedingungen dafür klären.
Versuche in einigen Regionen
Interesse angemeldet haben die Kantone Genf, Tessin, Zug sowie die Stadt Rapperswil-Jona und der Grossraum Bern. Mit zeitlich befristeten Pilotprojekten könnten Erfahrungen gesammelt und offene Fragen geklärt werden, sagte Leuthard.
Für die Versuche braucht es ein befristetes Bundesgesetz, über welches das Parlament voraussichtlich 2018 befinden kann. Die Pilotprojekte würden 2019 beginnen. Dereinst könnte Mobility Pricing in der ganzen Schweiz eingeführt werden. Vor 2030 dürfte das aber laut Leuthard nicht der Fall sein.
Kilometerabgabe statt Vignette
Die Details sind noch offen. Der Konzeptbericht, den der Bundesrat nun verabschiedet hat, soll als Grundlage für eine breite Diskussion dienen. Er skizziert verschiedene Modelle und Varianten. Der Grundgedanke: Der Preis hängt von der Nutzung ab, die über ein «Smart Divice» erfasst wird, beispielsweise über das Smartphone.
Autofahrer müssten eine Kilometerabgabe und zu Hauptverkehrszeiten und/oder an neuralgischen Stellen einen Kilometerzuschlag entrichten. Diese würden schrittweise bestehende Abgaben ersetzen – den Mineralösteuerzuschlag, die zweckgebundene Mineralölsteuer, die Automobilsteuer, die Vignette und kantonale Motorfahrzeugsteuern. Spezielle Lösungen bräuchte es für Gelegenheitsnutzer.
Billettpreis abhängig von Zeit
Im öffentlichen Verkehr würden auf besonders stark belasteten Bahn-, Bus- und Tramlinien örtlich und zeitlich differenzierte Tarife eingeführt. Kompensiert werden soll das mit geringeren Tariferhöhungen.
Voraussetzung dafür ist ein elektronisches Erhebungssystem, mit welchem das Ein- und Aussteigen im Fahrzeug registriert und verrechnet wird, wie Peter Füglistaler, der Direktor des Bundesamtes für Verkehr, erläuterte. Das Generalabonnement (GA) werde ein wichtiges Angebot bleiben, aber in angepasster Form.
Gerechter als heute
Heute hätten viele ihr GA schon nach einigen Monaten amortisiert, sagte Leuthard. In gewissem Sinne sei das ungerecht. Auch bei der Autobahnvignette werde oft kritisiert, dass alle gleich viel bezahlten, egal, wie häufig sie die Autobahnen nutzten.
Der Kritik in der Anhörung trägt der Bundesrat Rechnung, indem er auch andere Massnahmen erwähnt, um Verkehrsprobleme zu lösen, darunter flexible Arbeitszeitmodelle, angepasste Unterrichtszeiten, Home Office und Fahrgemeinschaften. Diese könnten unabhängig oder parallel zu Mobility Pricing einen Beitrag leisten.
Im Bericht hält der Bundesrat jedoch auch fest, dass laut einer Studie zum Mobilitätsverhalten von Pendlern in der Agglomeration Zürich bereits heute 63 Prozent aller Spitzenzeitfahrer prinzipiell die Möglichkeit hätten, ausserhalb der Spitzenzeiten zu fahren.