Der Bundesrat hat mit der Pädophilen-Initiative das gleiche Problem wie mit der Ausschaffungsinitiative der SVP: Das Volk schreibt einen Automatismus in die Verfassung, der rechtsstaatlichen Grundsätzen widerspricht.
Einschlägig vorbestrafte Pädosexuelle sollen nie mehr mit Kindern arbeiten dürfen. Diesen Automatismus der Pädophilen-Initiative will der Bundesrat ins Gesetz schreiben. Mit einer Härtefallklausel soll der Konflikt mit der Verhältnismässigkeit wenigstens teilweise entschärft werden.
Die im Mai 2014 angenommene Pädophilen-Initiative verlangt, dass Personen, die wegen Sexualdelikten an Kindern oder abhängigen Personen verurteilt wurden, nie mehr eine berufliche oder ehrenamtliche Tätigkeit mit Minderjährigen oder Abhängigen ausüben dürfen – unabhängig von den Umständen des Einzelfalls.
Bei der Präsentation der Vernehmlassungsvorlage erinnerte Justizministerin Simonetta Sommaruga am Mittwoch daran, dass dies der Verhältnismässigkeit widerspricht. Dieser Verfassungsgrundsatz gelte auch nach Annahme der Initiative.
Der Bundesrat sieht sich daher mit dem gleichen Problem konfrontiert wie bei der Umsetzung der Ausschaffungsinitiative der SVP: Das Volk schreibt einen Automatismus in die Verfassung, dieser widerspricht aber rechtsstaatlichen Grundsätzen. Eine Härtefallklausel soll das Dilemma nun auch bei der Pädophilen-Initiative auflösen.
Ausnahme für leichte Fälle
In «leichten Fällen» soll das Gericht auf die Anordnung eines Tätigkeitsverbots verzichten können, «wenn ein solches Verbot offensichtlich weder notwendig noch zumutbar ist». Keine Ausnahme ist möglich, wenn der Täter wegen Menschenhandels, sexueller Nötigung, Vergewaltigung, Schändung oder Förderung der Prostitution verurteilt wurde.
Als mögliche Anwendungsfälle nannte Sommaruga die im Abstimmungskampf viel diskutierte Jugendliebe, den jungen Mann, der dem noch nicht 16-Jährigen ein Sexvideo auf dem Handy zeigt oder die Kioskverkäuferin, die einem Minderjährigen ein Sexheftli verkauft. Ob es sich dabei um Pädophile handle, solle ein Richter abklären können, sagte Sommaruga.
Denn auf Pädophile hätten die Initianten mit ihrer Initiative nach eigenen Angaben gezielt. Die Justizministerin erinnerte auch daran, dass diese vor der Abstimmung selber einen Umsetzungsvorschlag vorgelegt hätten. Darin regten sie an, dass kein lebenslanges Berufs- oder Tätigkeitsverbot ausgesprochen werden soll, wenn dieses unverhältnismässig wäre.
Variante ohne Ausnahme
Eine Umsetzung mit Härtefallklausel ist die einzige für den Bundesrat vertretbare Variante. Trotzdem schickt er auch eine Version ohne Ausnahme in die Vernehmlassung. So könne die Diskussion über den Umgang mit diesem Dilemma offen geführt werden, sagte Sommaruga. Dann werde auch klar, dass fundamentale Rechtsprinzipien über Bord geworfen würden.
Grundsätzlich sehen beide Varianten vor, dass das Gericht ein lebenslängliches Verbot von beruflichen und ausserberuflichen Tätigkeiten in Vereinen oder anderen Organisationen anordnen muss. Davon betroffen wären Täter, die wegen eines Sexualdelikts an Minderjährigen und anderen besonders schutzbedürftigen Menschen zu einer Strafe oder Massnahme verurteilt worden sind.
Verbrechen und Vergehen, aber auch schon Übertretungen gegen die sexuelle Integrität wie sexuelle Belästigung würden ein lebenslanges Verbot nach sich ziehen. Dieses soll zudem unabhängig von der Höhe der Strafe angeordnet werden. So weit deckt sich der Vorschlag des Bundesrats weitgehend mit dem Verfassungstext. Darüber hinaus geht er damit, dass auch Delikte an Personen, die zum Widerstand unfähig sind, ein Berufs- und Tätigkeitsverbot nach sich ziehen würden.
Aufhebung ohne Grundlage
Allerdings sollen Tätigkeitsverbote gemäss dem Entwurf des Bundesrats nach einer gewissen Dauer auf Gesuch hin eingeschränkt oder aufgehoben werden können. Bei Exhibitionismus oder sexueller Belästigung soll dies schon nach drei Jahren möglich sein. Für Pädophile im psychiatrischen Sinn wäre eine Aufhebung allerdings ausgeschlossen. Im Verfassungstext ist die Möglichkeit der Aufhebung nicht vorgesehen.
Unabhängig von der Initiative hatte der Bundesrat noch vor der Abstimmung eine Revision des Strafgesetzbuchs vorgeschlagen. Ziel war es, mit Tätigkeits- und Berufsverboten Kinder besser vor Übergriffen zu schützen. Diese Gesetzesänderung ist seit Anfang dieses Jahres in Kraft, nach Annahme der Initiative muss sie nun angepasst werden.