Die drei Iraker, die im März und April 2014 wegen Terrorverdachts verhaftet wurden, bleiben gegen ihren Willen in Untersuchungshaft. Die Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts hat ihre Entlassung im Laufe des vergangenen Jahres abgelehnt, wie aus Beschlüssen ersichtlich ist, die am Montag publiziert wurden.
Die drei werden der Unterstützung des Islamischen Staats (IS) verdächtigt, wie die Bundesstaatsanwaltschaft (BA) Ende Oktober unter dem Titel «IS-Anschlagspläne in Europa vereitelt» vermeldete.
Hinzu kommen die Vorwürfe Gefährdung durch Sprengstoffe und giftige Gase in verbrecherischer Absicht, strafbare Vorbereitungshandlungen, Pornografie und Förderung der rechtswidrigen Ein- und Ausreise sowie des rechtswidrigen Aufenthalts.
Im April verlangten die Verhafteten ihre Entlassung aus der Untersuchungshaft. Diese Beschwerden wurden von der Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts im selben Monat allesamt abgelehnt, wie aus den nun publizierten Entscheiden hervorgeht. Eine weitere Beschwerde wurde im Juli zurückgewiesen.
Weshalb die Entscheide erst jetzt veröffentlicht werden – bis zu neun Monaten nach den Beschlüssen -, konnte die Mediensprecherin des Bundesstrafgerichts am Montag nicht erklären.
Dringender Tatverdacht bestätigt
Das Bundesstrafgericht konstatierte in allen drei Fällen dringenden Tatverdacht: Die drei Männer sollen eine kriminelle Organisation, konkret die Terrorgruppe «Islamischer Staat im Irak und der Levante» (ISIL), unterstützt haben. Zudem bestehe Flucht- und Kollusionsgefahr.
Gemäss einem weiteren Beschluss vom Juli haben sich «die belastenden Indizien» seit der Haftanordnung im April weiter verdichtet. Die Untersuchungshaft der drei Männer wurde zuletzt im Dezember erneut verlängert, wie eine BA-Sprecherin auf Anfrage erklärte.
Informationen eines Partnerdienstes
Ausgelöst wurden die Strafuntersuchungen durch nachrichtendienstliche Informationen eines Partnerdienstes. Aus Telefonabhörungen schloss dieser auf einen vom ISIL geplanten Anschlag. Der Nachrichtendienst des Bundes (NDB) informierte die Bundeskriminalpolizei und darauf eröffnete die BA Mitte März eine Strafuntersuchung, durchsuchte die Wohnung eines IV-Rentners und hörte dessen Telefon ab.
Aus den Gerichtsbeschlüssen, die sich stellenweise wie ein Kriminalroman lesen, gehen die Verdachtsmomente hervor. Im Zentrum des Verfahrens steht ein in der Schweiz anerkannter Flüchtling, der im Rollstuhl sitzt. Der IV-Rentner soll mit einem ISIL-Aktivisten, offenbar dem Drahtzieher, einen Anschlag in der Schweiz oder in den USA geplant haben. Dabei kann es sich gemäss den Richtern «nur um einen terroristischen Anschlag handeln».
Verdächtiger Datenträger
Zu diesem Zweck sollte ein Terrorist aus Syrien oder Saudi-Arabien in die Schweiz eingeschleust werden. Zudem soll der IV-Rentner einen weiteren Mann, einen Familienvater, der seit zehn Jahren in der Schweiz lebt, in die Türkei an die syrische Grenze geschickt haben, um einen Datenträger abzuholen.
Enthalten soll dieser gemäss Telefonüberwachung «Fotos und Erläuterungen zu Arbeiten mit elektronischen Geräten und deren Umbau bzw. von Details über Herstellung von Materialien und den Umbau von Geräten, am besten in Bild und Video». Bis im Juli, dem Zeitpunkt des letzten Beschlusses, war der Datenträger von den Ermittlern noch nicht aufgefunden worden.
Türkeireise und Geheimnistuerei
Das Bundesstrafgericht bezieht sich in seinen Erwägungen auf mehrere Verdachtsmomente. So hat die Türkeireise, wie vom NDB vorausgesagt, tatsächlich stattgefunden. Der Familienvater begründete diese in den Einvernahmen mit dem Spitalaufenthalt der Mutter des IV-Rentners – später sprach er von seiner eigenen Mutter. Zudem erklärte er, dass er für Schlepperdienste in die Türkei gereist sei: Er habe Verwandte und Freunde in die Schweiz schleusen wollen.
Die Richter erachten das Reisemotiv als unglaubwürdig. Zudem nutzten terroristische Organisationen die Dienstleistungen von Schleppern, wenn sie ihre Mitglieder und Aktivisten in andere Länder verschieben wollten. «Wer als Schlepper tätig ist, kann auch islamistische Aktivisten ’schleppen‘.»
Weiter liess die Richter aufhorchen, dass die Hauptfigur sehr bemüht war, den Inhalt von Telefongesprächen geheim zu halten. So warf der Mann dem Türkeireisenden in einem abgehörten Gespräch vor, auf die «offizielle» Telefonnummer angerufen zu haben. Über diese Verbindung könne man keine Geheimnisse besprechen.
«Die Erklärung für ein solches Verhalten kann nur in einem hoch gesteigerten Geheimhaltungsinteresse gründen», halten die Richter fest. Da der Mann gemäss Gericht höchstens am Rande mit den Schlepperaktivitäten seines Kollegen zu tun hatte, «muss das Geheimhaltungsinteresse in einer anderen, illegalen Absicht von erheblicher Bedeutung bestehen».
Dritter als mutmasslichen Terroristen entlarvt
Der dritte im Bund wurde angehalten, als die beiden anderen Männer verhaftet wurden. Die drei hatten sich zu einer Besprechung getroffen. Nach der Befragung wurde der Mann wieder freigelassen.
Knapp drei Wochen danach wurde er aufgrund erster Ermittlungsresultate verhaftet. Die Auswertung seines Mobiltelefons und der Befragungen erhärteten den Verdacht, dass auch er an der Planung und Vorbereitung eines Attentats im Auftrag oder für die ISIL in der Schweiz mitbeteiligt war. Zudem fanden sich auf seinem Handy Gewaltdarstellungen und kinderpornografisches Material.
Im April war seine Funktion noch nicht klar. Doch schon zu diesem Zeitpunkt erörterte das Bundesstrafgericht, dass der Mann der eingeschleuste Terrorist sein könnte. Belastendes Indiz war unter anderem die Anwesenheit am Treffen zwischen den beiden anderen.
«Soll es bei diesem Treffen tatsächlich (…) um die Planung eines Anschlags gegangen sein, so ist kaum vorstellbar, dass (…) ein Treffen dieser Art in Anwesenheit einer nicht eingeweihten Person durchgeführt» worden sei. Zudem habe sich der eingangs erwähnte Drahtzieher aus den Reihen des ISIL nach diesem dritten Mann erkundigt und sei via Skype auch direkt mit diesem in Kontakt gestanden.
Aus dem Beschluss vom Juli geht hervor, dass es sich beim dritten Mann tatsächlich um einen Iraker handelt, der verschiedene Aliasnamen nutzt und der bei Interpol wegen Aktivitäten im Bereich des Terrorismus im Irak registriert ist. Er soll Anschläge geplant und finanziert haben und gilt als hochrangiges Unterstützungsmitglied der Al-Kaida.
Ziel der mutmasslichen Anschläge unklar
In den ganzen Entscheiden des Bundesstrafgerichts ist wiederholt von einem Anschlag in der Schweiz oder in den USA die Rede. Informationen des «Tages-Anzeiger» und des «Bunds» vom vergangenen Samstag, wonach es sich um Ziele in Deutschland gehandelt habe, bestätigte die BA nicht.
Die drei Iraker bestreiten die meisten Vorwürfe – insbesondere die Unterstützung einer terroristischen Organisation und bestreiten damit den Haftgrund des dringenden Tatverdachts, aber auch eine mögliche Flucht- oder Verdunkelungsgefahr.
Für das Bundesstrafgericht ist jedoch klar, dass sich, ausgehend vom Verdacht der Unterstützung einer terroristischen Organisation, eine hohe Mobilität und eine entsprechende Fluchtbereitschaft ergibt. «Eine Terrororganisation wie ISIL ist international vernetzt und bietet damit erhöhte und effektive Fluchtmöglichkeiten.»
Hinzu komme, dass einer der Männer als Schlepper geradezu prädestiniert sei, sich selbst ausserhalb der legalen Wege Fluchtmöglichkeiten zu verschaffen. Auch die hohe Freiheitsstrafe spreche für eine Fluchtgefahr.
Nebenschauplatz
Auf Grund der internationalen Dimension zählt die BA bei den Ermittlungen auf die Kooperation mehrerer anderer Länder. Sie stellte mehrere Rechtshilfeersuchen an europäische Partnerbehörden. «Besonders eng» arbeitet die BA mit den US-amerikanischen Justizbehörden zusammen.
Zudem erteilte sie einen Gutachterauftrag «zur Abklärung benutzter mutmasslicher Codewörter». Der Experte sollte herausfinden, ob Ausdrücke wie «baking bread», «watermelons», «ingredients» und andere Wörter «in der Vergangenheit bereits als Codeworte verwendet wurden». Das Gutachten sollte sich weiter zum Gebrauch von Codewörtern durch islamistische Terrorzellen aussprechen.
Bekannt wurde dieses Detail, weil die Hauptfigur die Fachkompetenz des Experten in Frage stellte und dessen Ausstand forderte. Die Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts lehnte die Beschwerde ab.
(Urteil BH.2014.4 vom 29.04.2014, BH 2014.10 vom 23.07.2014, BH.2014.1 vom 10.04.2014, BH.2014.2 vom 29.04.2014 und BB.2014.92 vom 04.07.2014)