Fabian Cancellara nimmt erstmals seit 2009 wieder am Giro d’Italia teil, der heute in den Niederlanden beginnt. Der Ende Jahr abtretende Berner hat dabei Grosses vor.
Mit einem Sieg heute im Auftakt-Zeitfahren im niederländischen Apeldoorn möchte Cancellara das rosafarbene Leadertrikot erobern. Die Maglia Rosa ist das einzige Führungstrikot der drei grossen Rundfahrten, das dem 35-Jährigen in seiner Sammlung noch fehlt. Der Entscheid der Organisatoren, die 99. Ausgabe des Giros erstmals seit vier Jahren wieder mit einem Einzelzeitfahren zu beginnen, eröffnet dem vierfachen Zeitfahr-Weltmeister beste Möglichkeiten, nach dem gelben Trikot der Tour de France – das er an nicht weniger als 29 Tagen trug – und dem Leadertrikot der Vuelta auch dasjenige der Italien-Rundfahrt zu erobern.
Für Cancellara ist die bevorstehende Herausforderung auch eine emotionale Angelegenheit, war doch sein Vater einst aus dem süditalienischen Puglia in die Schweiz ausgewandert. «Da ich ja einen italienischen Background habe, ist es etwas, was mir viel bedeutet», bestätigt der Berner. Allerdings leidet Cancellara seit Mittwoch an Magenproblemen und Fieber. «Am Mittwoch im Training fühlte ich mich müde und verspürte Gelenkschmerzen. Danach ging ich ins Hotelzimmer und war mehr Gast auf der Toilette als einer des Hotels», liess er gegenüber dem Internetportal «cyclingnews» verlauten. Deshalb war am Donnerstag ein kompletter Ruhetag angesagt. Mittlerweile sei das Fieber abgeklungen. «Das Wichtigste ist jetzt positiv bleiben, entspannen und erholen. Ich werde das Beste daraus machen», zeigte sich Cancellara kämpferisch.
Dumoulin als grosser Widersacher
Cancellaras grösster Widersacher auf dem 9,8 km langen und topfebenen Parcours in der Innenstadt von Apeldoorn heisst Tom Dumoulin. Der Niederländer hatte im letzten Jahr das Zeitfahren an der Tour de Suisse und auch dasjenige der Vuelta gewonnen. Diese Saison wartet der Captain des deutschen Teams Giant-Alpecin allerdings noch auf den ersten Sieg. Seine Formkurve zeigt aber nach oben. In der vergangenen Woche beendete der 25-Jährige an der Tour de Romandie den Prolog in La Chaux-de-Fonds und das Einzelzeitfahren in Sitten jeweils als Zweiter.
«Cancellara ist der Mann, den es zu schlagen gilt», behauptet Dumoulin. «Wenn er die gleich guten Beine hat wie beim Tirreno, dann wird es sehr schwierig für mich, ihn zu schlagen.» Dumoulin meinte Cancellaras überzeugenden Auftritt im Einzelzeitfahren des italienischen Etappenrennens Tirreno – Adriatico, bei dem der Trek-Profi Mitte März auf einem ähnlich langen und flachen Kurs wie am Freitag seinen vierten und bisher letzten Saisonsieg eingefahren hat.
Mit Stefan Küng, Silvan Dillier (beide BMC) und Marcel Wyss (IAM) stehen in Apeldoorn drei weitere Schweizer am Start. Weil ihre Teams ohne Ambitionen im Gesamtklassement an den Start gehen, müssen sie keine Helferaufgaben verrichten und dürfen ihre Chancen auf einen Etappensieg wahrnehmen.
Nibali und die spanischen Herausforderer
Mit Chris Froome, Nairo Quintana, Alberto Contador und Fabio Aru sind die vier momentan wohl stärksten Anwärter auf den Gesamtsieg in einer dreiwöchigen Rundfahrt die grossen Abwesenden. Ohne dieses Quartett, das den Fokus auf die im Juli beginnende Tour de France legt, präsentiert sich die Ausgangslage in der nach 3463 km in Turin zu Ende gehenden Italien-Rundfahrt als relativ offen.
Nibali kehrt zwar als Tour-de-France-Sieger (2014) zum Giro zurück, der 31-jährige Astana-Profi konnte in dieser Saison aber noch nicht wirklich überzeugen. Zu seinen schärfsten Rivalen gehört mit Mikel Landa auch ein ehemaliger Teamkollege. Der hoch eingeschätzte Spanier vom britischen Sky-Team zeigte sich jüngst in blendender Verfassung und gewann die Trentino-Rundfahrt. Der Kletterspezialist muss in den Zeitfahren den Rückstand begrenzen, nur so wird der letztjährige Giro-Dritte zu einem ernstzunehmenden Sieganwärter. Ebenfalls zu beachten sein wird Landas erfahrener Landsmann Alejandro Valverde. Der 36-jährige Movistar-Profi nimmt erstmals am Giro teil, stand bei der Vuelta (6) und der Tour de France (1) jedoch schon siebenmal auf dem Podest.
Zum erweiterten Favoritenkreis zählen auch der aufstrebende Kolumbianer Esteban Chaves und dessen Landsmann Rigoberto Uran (Giro-Zweiter 2013 und 2014) sowie der Kanadier Ryder Hesjedal (Giro-Sieger 2012) und Tom Dumoulin.