Rund eine Viertelmillion Eltern und Kinder sind in der Schweiz von Armut betroffen. Caritas Schweiz fordert mehr Einsatz des Bundesparlaments, um dies zu verhindern.
«Die Bundesebene ist gefordert: Statt Armut zu produzieren, soll sie Armut verhindern», sagte Hugo Fasel, Direktor von Caritas Schweiz, am Dienstag bei der Veröffentlichung des Berichts zur Armutspolitik. Caritas Schweiz werde sich in der neuen Legislaturperiode dafür einsetzen, dass die Armutsfrage ins Zentrum der schweizerischen Sozialpolitik gerückt wird, sagte er laut Redetext.
Grundlage des Berichts ist eine Umfrage bei den Kantonen. Sein Fazit: Nur eine Minderheit der Kantone betreibt eine systematische Familienpolitik, die darauf abzielt, Armut zu verhindern oder zu bekämpfen.
Jede zwölfte Familie mit drei und mehr Kindern lebt laut Caritas-Bericht in Armut, bei Alleinerziehenden ist es jede sechste Familie. Mit Bern verfüge heute ein einziger Kanton über ein strategisches Dokument zur Familienpolitik aus der Armutsperspektive. Die Kantone Jura und Freiburg erarbeiteten derzeit eine Strategie.
Die meisten Kantone haben laut dem Hilfswerk einzelne Massnahmen zur Bekämpfung der Familienarmut, gingen diese jedoch nicht systematisch an. Ganze acht Kantone würden weder ihre Situation mit Blick auf die Familienarmut kennen, noch verfügten sie über Ansätze, diese zu bekämpfen.
Im Parlament auf Ablehnung gestossen
Die grösste Ablehnung erfährt die Armutsproblematik laut Caritas Schweiz im Bundesparlament. «Entweder wird die Armutsrealität kleingeredet oder sie wird als Aufgabengebiet an die Kantone abgeschoben», sagte Fasel.
Die Kantone seien für die Sozialhilfe verantwortlich und deshalb für die Armut zuständig, heisse es. Es werde angenommen, Armut könne durch Sozialhilfe beseitigt werden. Aus Sicht der Caritas verlangt Armutsbekämpfung jedoch Investitionen.
Die Organisation fordert unter anderem verstärkte Anstrengungen zur Integration arbeitsloser Menschen. «Das hat im Rahmen der Arbeitslosenversicherung das Bundesparlament an die Hand zu nehmen», sagte Fasel. Er erinnerte daran, dass 2014 insgesamt 36’000 Personen ausgesteuert und so aus der Arbeitslosenstatistik entfernt wurden. Diese Menschen seien früher oder später auf Sozialhilfe angewiesen.
Weiter ist nach Auffassung von Caritas Schweiz eine gezielte Weiterbildung und Nachholbildung notwendig. Auch dazu brauche es mehr Engagement des Bundes und von ihm entwickelte Lösungsansätze. Zur Vermeidung von Familienarmut fordert Caritas Schweiz zudem Ergänzungsleistungen für Familien.
Leistungskürzungen kontraproduktiv
Wegen der vom Parlament in den vergangenen Jahren beschlossenen Leistungskürzungen bei der Arbeitslosen- und bei der Invalidenversicherung haben sich gemäss Bericht die Kosten von der Bundesebene auf die Kantone verschoben. Immer mehr Menschen seien daher auf Unterstützung der Sozialhilfe angewiesen.
«Um die Leistungen für die Armutsbekämpfung tief zu halten, wird in der öffentlichen Diskussion oft von hohen Kosten gesprochen», sagte Fasel. Im Jahr 2013 seien für die Sozialversicherungen Einnahmen von 169,5 Milliarden Franken verzeichnet worden. Die Sozialhilfe betrage jedoch insgesamt «bloss» 2,5 Milliarden Franken. «Es ist offensichtlich: In der Armutsbekämpfung wird kostenmässig nicht übertrieben.»