Darió Aguirre ist ein Mann der leisen Töne. Umso erfrischender sind seine Melodien. In einer liebevollen Studie führt er uns in die Herzensangelegenheiten seiner Familie ein. Zart und heiter, und verblüffend nah an seiner eigenen Wahrheit.
Darió lebt seit zwölf Jahren in Deutschland. An der Unversität hat er gelernt zu debattieren, colloquieren und kommunizieren und gelegentlich meditiert er auch. Da erreicht ihn ein eigenartiger Hilferuf aus seiner Heimat. Das Grill-Restaurant seines Vaters stehe vor dem Aus. Kredithaie seien hinter ihm her. Viel mehr erfährt Darió nicht. Ausgerechnet der strenge vegetarische Darió will dem Fleischkoch in seiner Heimat nun helfen.
Darió Aguirre nimmt uns seit heute im Kino Camera mit auf diese Reise. Wir folgen ihm – dem leicht verträumten Sohn – in die wortkarge Welt seines Vater, die uns dessen ganzen Kosmos in beredten Kleinigkeiten erfahren lässt, und letztlich wortstark zu Darió zurückführt. So karg wie er den Vater in seiner Trauer findet, so schmucklos scheint die Reise, die die Kamera mit uns macht, aber nur auf den ersten Blick.
An dieser lakonischen Erkundung verblüfft vor allem, wie nah Darió uns an lauter wahren Begebenheiten teilnehmen lässt, obwohl er sie mit amusierter Leichtigkeit einfängt. Beiläufig, gelassen richtet er die Kamera auf sein kleines Scheitern, die hilflosen Versuche, die winzigen Botschafter der anderen Kultur zu optimieren: Papa kann mit einer Exel-Tabelle nicht besser kochen. Aber er könnte wenigstens lernen Exel-Tabellen zu füllen. Mit staunenden Augen lädt Darió uns ein, selber Zeugen zu sein, in der Welt, seiner Eltern, in der die Menschen so tief verwurzelt mit den kleinen schönen Dingen des Alltags sind, als wären sie ihr eigenes Schicksal.
Dabei ist sind Darió Aguirres Bildausschnitten so treffsicher, dass sie den Eindruck erwecken, als wären sie alle dramaturgisch ausgefuchst erfunden. Selbst der Tod der Mutter, der uns erschrocken innehälten lässt – er muss den Sohn Darió ja wirklich mitten in den Dreharbeiten eingeholt haben! – ist in einer einfachen Bildwelt schlicht grandios eingefangen:
Schamhaft enthält Aguirre uns die Trauer um die Frau vor. Stattdessen führt uns das Bild hinaus in die Natur, wo Mutters Asche verstreut wurde. Wie selbstverständlich bleibt der Blick im Wasserlauf hängen, der zwischen den Kieseln fliesst, während Mutters Stimme zum Schweigen rät, wo nichts zu sagen sei. Gefolgt von einer Nahaufnahme der Mutter, die mit grossen Seherinnenaugen, nur im Anschnitt gefilmt, den Grossvater beschreibt als einen, der seinem Sohn nie etwas sagen hatte. Wozu auch? Worüber auch?
Die Kamera befolgt Ihren Rat: Sie zeigt Vater und Sohn schliesslich, in der Szene, wo die beiden endlich bei sich ankommen, auf Steinen sitzend, in einem vorbeifliessenden Fluss. Dort sagen sie sich alles, was zu sagen ist, indem sie nach Worten suchen.
Als hätte Darió Aguirre Robert Walsers Bleistift-Minitauren auf seine Bilderskizzen übertragen gelernt, sitzen wir fasziniert vor den unaufwendig kleinen Zeichen. Zum Schluss lernen wir uns wohl zu fühlen in der Demut der Aguirres vor der Unbenennbarkeit der grossen Dinge: Obwohl kaum etwas geredet wurde, ist doch alles gesagt. Das ist herzerfrischend reich.