Die US-Forscher Martin Karplus, Michael Levitt und Arieh Warshel erhalten den diesjährigen Chemie-Nobelpreis. Sie werden für ihre Pionierarbeiten an Computermodellen geehrt, welche komplexe chemische Prozesse vorhersagen können.
Dies teilte die Königlich-Schwedische Akademie der Wissenschaften am Mittwoch in Stockholm mit. «Dieser Preis handelt davon, das Chemie-Experiment in den Cyberspace zu bringen», sagte Staffan Normark, Ständiger Sekretär der Akademie.
Da chemische Reaktionen in Bruchteilen von Millisekunden ablaufen und experimentell schwer fassbar sind, seien Computersimulationen «entscheidend für die meisten heutigen Fortschritte der Chemie», erläuterte die Akademie ihre Entscheidung.
Freudige Reaktionen
«Was wir gemacht haben ist das beste Werkzeug, um zu sehen, wie Moleküle funktionieren», sagte der 72-jährige Warshel. Er fühle sich «extrem gut» und freue sich auf die Preisverleihung in Stockholm. Die höchste Auszeichnung für Chemiker ist mit 8 Millionen Schwedischen Kronen (1,1 Millionen Franken) dotiert.
Es sei «wunderbar» den Preis gewonnen zu haben, sagte der 1930 in Wien geborene Karplus der Nachrichtenagentur dpa. Er habe jedes Jahr gewusst, dass er nominiert war, jetzt sei er aber dennoch überrascht. Auch der 66-jährige Levitt hatte gemäss einer Mitteilung der Universität Stanford geahnt, «dass etwas in der Luft liegt».
«Der Nobelpreis ist absolut verdient», kommentierten der Physiker und Arzt Olivier Michielin und sein Mitarbeiter Vincent Zoete vom Universitätsspital Lausanne (CHUV) und dem Schweizerischen Institut für Bioinformatik in Lausanne gegenüber der Nachrichtenagentur sda. Beide haben früher bei Martin Karplus in Harvard und Strassburg gearbeitet.
Neue Art der Forschung
«Diese Computersimulationen können als eine neue Art der Forschung betrachtet werden», sagte Michielin. Sie könnten das Verhalten von Molekülen bei chemischen Reaktionen auf eine Weise vorhersagen, wie es in klassischen Experimenten nicht möglich sei.
Wenn Chemiker früher grosse Moleküle simulieren wollten, mussten sie zu diametral verschiedenen Modellen greifen: Entweder zu den statischen Modellen der klassischen Newton-Physik oder zu den sehr komplexen der Quantenphysik, die Moleküle «in Aktion» beschreiben. Die Nobelpreisträger hätten Computermodelle entwickelt, die «ein Tor zwischen diesen beiden Welten öffneten», erklärte die Akademie.
Bessere Krebsmedikamente
Diese Simulationen sind heute aus der Biomedizin nicht mehr wegzudenken. Am CHUV erkunden Bioinformatiker damit neue Wege, um Immunzellen im Kampf gegen Krebs zu optimieren. «Die Simulationen helfen uns dabei, neue und bessere Medikamente zu entwerfen», sagte Michielin, der nächstes Jahr mit einer so gewonnen Substanz gegen Melanome klinische Versuche beginnt.
Tausende Labors in aller Welt setzen diese Simulationen ein: Pharmafirmen prüfen damit Substanzen auf ihre Eignung hin, Biologen erkunden die Photosynthese, Ingenieure die Abgasreinigung.
Karplus, Levitt und Warshel legten in den 1970er Jahren eine Basis für solche Programme. Er sei «überrascht, aber höchst erfreut» über die Anerkennung dieser theoretischen Vorarbeit, sagte der Bioinformatiker Torsten Schwede von der Uni Basel. «Der Nobelpreis zeigt, welche grosse Rolle diese quantitativen Analysen heute in der Praxis spielen.»
Internationale Preisträger
Es ist ein internationales Team, das sich den diesjährigen Chemie-Nobelpreis teilt: Karplus ist sowohl US- als auch österreichischer Staatsbürger und forscht an den Universitäten Strassburg und Harvard. Levitt stammt aus Grossbritannien, hat aber wie der Israeli Warshel einen US-Pass. Levitt arbeitet an der Universität Stanford, Warshel an der University of Southern California in Los Angeles.
Am Dienstag war der Physik-Nobelpreis Peter Higgs und François Englert zuerkannt worden, deren theoretische Überlegungen zur Entdeckung des Higgs-Teilchens am Teilchenforschungsinstitut CERN bei Genf geführt hatten. Die feierliche Überreichung der Auszeichnungen findet traditionsgemäss am 10. Dezember statt, dem Todestag des Preisstifters Alfred Nobel.