Child’s Pose – ein Goldener Bär im Kult-Kino

Wir hatten schon von der Berlinale berichet: Rumänien ist zur Zeit Europas Land Nummer eins, wenn es gilt grosse Schauspiel- mit subtiler Drehbuchkunst zu verbinden: Nach «Beyond the Hills» kommt in diesem Jahr mit «Child’s Pose» schon die zweite rumänische Überraschung ins Kino.   Im ersten Gespräch beklagt sich die Mutter über ihren Sohn, weil […]

Wir hatten schon von der Berlinale berichet: Rumänien ist zur Zeit Europas Land Nummer eins, wenn es gilt grosse Schauspiel- mit subtiler Drehbuchkunst zu verbinden: Nach «Beyond the Hills» kommt in diesem Jahr mit «Child’s Pose» schon die zweite rumänische Überraschung ins Kino.

 

Im ersten Gespräch beklagt sich die Mutter über ihren Sohn, weil er nie etwas erzählt, weil er die Bücher nicht liest, die sie ihm gibt, weil aus ihm nicht geworden ist, was sie erhofft hatte. Hätte sie ein zweites Kind, sie wüsste, welches sie bevorzugen würde. Er sei ein Nichtsnutz. Im letzten Gespräch nennt die Mutter ihren Sohn einen  fleissigen Studenten, einen redlichen Jungen, einen Menschen dessen Zukunft nicht zerstört werden dürfe. Er sei  alles was sie habe.

Dazwischen liegt ein schrecklicher Unfall. Der Sohn fährt in einem Überlandstrassenrennen ein Kind tot. Mit der Akribie einer Kommissarin verfolgt die Mutter die dem Unfall folgenden Schritte ihres Sohnes, des Täters, wie jene der Unfall-Experten und der ermittelnden Polizisten. Grandios detailverliebt entwirft L. Gheorghiu dieses Porträt einer Mutter, die das Wunschbild ihres Sohnes versucht mit der Wirklichkeit in Einklang zu halten. Zunehmend agiert sie ohne das Einverständnis ihres Sohnes, um ihr Bild zu retten. Wie sie selbst erfahren auch wir kaum etwas vom Täter. Auch wir werden, wie die Mutter im Film, ihren Mutmassungen überlassen. Als sie am Schluss scheitert, bleibt es an uns, das angerichtete Unheil abzuwägen. Die Berlinale-Jury hat darin den besten Film des Jahrgangs 2013 erkannt.

Was den Sog dieser Mutter-Sohn-Geschichte ausmacht (die übrigens von der mehrfach gefeierten Luminita Gheorghiu gespielt wird, die schon in Michael Hanekes «Code Inconnu» und vor kurzem in «Beyond the Hills» gesehen haben): «Child’s Pose» verhandelt ohne Sensationslust mehr als eine einseitige Kriminal-Tat-Bestandesaufnahme. Er verfolgt auch nicht nur die verzweifelten Schachzüge einer Mutter, die ihr Wunschbild von ihrem Sohn nicht gegen das Wahrheitsbild tauschen möchte.

Er zeichnet ein kupferstichfeines Bild einer Gesellschaft, in der diese Geschichte sich abspielt: Er rechnet die schwere Schuld, die der Junge aus gutsituiertem Haus mit auf den Lebensweg erhält, gegen die Schuldlosigkeit, die dem Jungen aus dem Armenviertel an seine Lebensjahren abgezogen wird, ohne weiter zu kommentieren. Zum Schluss fängt das gesellschaftliche Netz den Sohn aus gutem Hause vor dem Absturz auf, während dem Sohn aus armen Verhältnissen der ungebremste Aufprall bleibt. 

Wenn die Mutter des Täters und die Mutter des Opfers schliesslich einander gegenüber sitzen, hat der Film seinen Höhepunkt und führt gleichzeitig seine gesellschaftliche Analyse zu einem schlicht ergreifenden Schluss. Anstatt uns mit einer Lösung zu verwöhnen, hören wir nicht, was der Täter dem Vater des Opfes zu sagen hat. Wir sehen aus dem Innern von Mutters Wagen bloss, wie die beiden Männer voreinander stehen, wie sich deren Hände finden, während das leise Schluchzen der nicht sichtbaren Mutter zu hören ist. Blut ist vielleicht doch nicht dicker als Wasser. Es hilft aber auch dann nicht, die Hand des Sohnes in Unschuld zu waschen. 

 

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