Rund um die Erde sind Geheimdienste damit beschäftigt, Geheimnisse zu stapeln oder zu lüften. Edward Snowden half den grössten Datenstaubsauger der Welt in Gang zu bringen – bis ihn Skrupel plagten und er ausstieg. Der Dokfilm «Citizenfour» läuft jetzt in den Schweizer Kinos an.
Als Laura Poitras 2013 die ersten verschlüsselten Mails erhielt, glaubte sie an einen Scherz. Zwei Wochen später war sie Teil einer der grössten journalistischen Enthüllungen der Neuzeit. Zusammen mit Edward Snowden und dem «Guardian»-Journalisten Glenn Greenwald entwarf sie ein mögliches Vorgehen und dokumentierte alles mit der Kamera. Heute wissen wir, was sie erwartete: Die Veröffentlichung des Abhörskandals und der Geheimdienstpraktiken, die NSA-Affäre, Haftbefehle, Flucht und Asyl in Russland.
Damals wusste sie nur wenig von diesem jungen Amerikaner, der behauptete, die Geheimnisse des grössten Geheimdienstes der Welt lüften zu wollen. Edward Snowden war Computerspezialist, arbeitete für CIA und NSA. Er half den grössten Datenstaubsauger der Welt in Gang zu bringen – bis ihn Skrupel plagten, er sich bei Laura Poitras meldete und ausstieg.
Der Mann, der im Herz des amerikanischen Überwachungsapparates gearbeitet hat, brachte mit seinem Vorgehen Licht in den Missbrauch von Datentransfers, deren eine Seite wir alle aus unserem Alltag kennen. Wir wundern uns längst nicht mehr, dass wir vier Minuten nach einer Suchanfrage für eine Reise nach Ägypten ein Hotelangebot per Mail kriegen. Mancher freut sich vielleicht über die Möglichkeiten von Suchmaschinen und vergisst gern, dass man durch einen Hotelaufenthalt in Ägypten auch ins Fahndungsraster von Greifern geraten und verschleppt werden kann.
Snowden ahnte, was ihn erwartete
Snowden traf als einfacher Computerspezialist eine Entscheidung. Er wollte als Geheimnisträger an einem Knotenpunkt des Netzwerkes nicht mehr mitmachen. Er nutzte als kleines Bit in der Cloud seine vernetzte Stellung und stellte sich auf die Seite jener, die die Überwachung durch die Staatsmacht kontrollieren sollten. Auf die Seite der Parlamente, der freien Citizens, der vierten Macht im Staat, der Presse. Er stellte die Informationen für das Netz bereit.
«Citizenfour» begleitet Snowden im Juni 2013, als er bereits auf der Flucht war. In Hongkong gab er das erste Interview.
«Citizenfour» zeichnet auch nach, wie sich seine Verfolger formieren. Wie bedeutend Snowdens Informationen waren, war sehr bald an den Reaktionen der Entlarvten abzulesen. Befreundete Politker sahen sich genötigt, gegenseitige Beschnüffelung zuzugeben. Snowden stach in ein Wespennest und geriet sofort ins Fadenkreuz jener, die Geheimnisse für Machtausübung nutzen.
Snowden wollte öffentliches Recht herstellen
In den Interviews, die Snowden der Zeitschrift «Wired» und dem «New Yorker» gewährte, schälte sich der Konflikt heraus, aus dem Snowden zu entkommen suchte: Wollte er dem Wort der Obama-Administration Geltung verschaffen, die beschwor, sich an Recht und Grundgesetz zu halten, musste er zum Rechtsbrecher werden.
Snowden machte mit einem Schlag deutlich, wie ungeschützt das Recht auf Privatheit inzwischen ist, in welchem Umfang die USA geheimdienstliche Schnüffelei betrieben. Um öffentliches Recht wiederherzustellen, nahm er in Kauf, Recht zu brechen. Und wurde so innerhalb von Stunden vom einfachen Computerspezialisten zum gejagten Topagenten.
Die NSA soll 350 Millionen Datensätze pro Tag speichern, heisst es in «Citizenfour». Festgehalten wird alles, was innerhalb und ausserhalb der Staaten digitale Signale von sich gibt: Kreditkarten, Handys, Kameras, Kartenautomaten, Internet, GPS-Systeme, Computer, Babyphones, Hauszentralen, Server. Die NSA scannt täglich die Welt und saugt jegliche greifbare Information vom Netz, um sie in der neugebauten Zentrale zu stapeln.
Glenn Greenwald hat in seinem Bestseller «Die globale Überwachung» den Hintergrund von Snowdens Handeln dargestellt. Jetzt doppelt der Dokumentarfilm «Citizenfour» von Laura Poitras nach. Sie liefert, stets hinter der Kamera weilend, beklemmende Bilder einer Verfolgungsjagd. Sie macht mit ihrer Dramaturgie auch klar, dass Snowden als Gejagter ebenso kluge Entscheidungen fällte wie als kleiner Computerspezialist. Ehe er in der «Oscar»-Nacht zu den Nominierten gehört, kommt «Citizenfour» auch in die Schweizer Kinos.
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Ab 19.2. läuft «Citizenfour» in den Kult-Kinos.