Cloud Atlas

Als zappte man wild durchs Samstagabendprogramm – so fängt «Cloud Atlas» an. Nach drei Stunden wird all das Zappen durch die Menschheitsgeschichte belohnt. Die vielen Erzählstränge werden in ferner Zukunft zu einem Einzigen. Die Botschaft nach drei Stunden lautet: Es hängt eben doch alles irgendwie zusammen. Mensch! Das hätte nun wirklich keiner vermuten dürfen. Als […]

Als zappte man wild durchs Samstagabendprogramm – so fängt «Cloud Atlas» an. Nach drei Stunden wird all das Zappen durch die Menschheitsgeschichte belohnt. Die vielen Erzählstränge werden in ferner Zukunft zu einem Einzigen. Die Botschaft nach drei Stunden lautet: Es hängt eben doch alles irgendwie zusammen. Mensch! Das hätte nun wirklich keiner vermuten dürfen.

Als zappte man wild durchs Samstagabendprogramm – so fängt «Cloud Atlas» an. Die Senderliste ist reich: Für den Kinderkanal erzählt ein Uropa eine Geschichte der Ureinwohner, für Sat1 wird ein Weisser Zeuge der Barbarei der Sklavenhalter, für RTL2 rasen wir in ein Fantasy-Raumschiff, eine Prise SF2 ist einem Buchverleger in der Klemme auf der Spur, Arte darf Mozart und Salieri variieren, und selbst das ZDF wäre mit «Wetten Dass» vertreten, wenn Tom Hanks mal mit Bart, mal mit Augenklappe, mal mit Brille und mal mit – Hasenohren vor die Kamera tritt. Auf allen Sendern herrscht Aufruhr. Jeder Sender trägt seinen Beitrag zu Nietzsches «Wille zur Macht» auf seine Weise bei. Nach drei Stunden wird all das Zappen durch die Menschheitsgeschichte belohnt. Die vielen Erzählstränge werden in ferner Zukunft zu einem Einzigen. Die Botschaft nach drei Stunden lautet: Es hängt eben doch alles irgendwie zusammen. Mensch! Das hätte nun wirklich keiner vermuten dürfen.

Trotzdem sollte man nicht vorschnell den Stab über einem ambitionierten Unterfangen brechen. Der Autor des Romans, David Mitchell wird im Film gleich zu Beginn zitiert: Seine literarischen Kunstgriffe bilden ein «Gewebe aus Zitaten und intertextuellen Querverweisen» und seien zu verurteilen, weil sie «wie Examensarbeiten über die Postmoderne und Chaostheorie»…«in die achtziger Jahre des letzten Jahrhunderts» gehören. So hat Mitchell gleich selbst seinen Roman eröffnet und die Kritik eingebaut. Mitchell gehört mit seinen Romanen eben deshalb zu den experimentierfreudigsten Autoren unserer Zeit, weil er sich um den literarischen Diskurs scheinbar nicht kümmert, sondern ihn vereinnahmt: Wer mit derart entwaffnender Ironie und charmanter Selbstbezüglichkeit sich selber dekonstruiert, schlägt jeder Kritik zum Vornherein die Tastatur aus der Hand. Während die einen finden, er wurstele sich nur durch die Geschichte der Zivilisation (TAZ: „Viele Stile, keine Ziele.“), sind andere von der Architektur seines Romanes entzückt (NZZ: «Weltliteratur!»).

Mitchells Methode ist ein literarisches Wagnis. Aber wie kann eine Filmproduktion diesen Stilmix nutzen? Sechs Filme drehen? Oder sechs Filme ineinander verschachteln? Die Antwort gab das Budget. Der Zeit-Bogen war weit gespannt. Das Buch umfasste mehrere Jahrhunderte. Sechs Erzählungen. Hunderte von Drehorten. Ein derartiges Unterfangen würde ein halbes Jahr Drehzeit bedeuten. Das war selbst mit einem, für europäische Verhältnisse, stattlichen Budget von über 130 Millionen nicht zu leisten. Das hätte auch nie aus ausgereicht, um ein Star-Ensemble über ein halbes Jahr zu bezahlen. Stattdessen arbeiteten die beiden Regieteams parallel. Tom Tykwer («Lola rennt», «Das Parfum») einerseits, und die Wachowskis («Matrix»-Trilogie») andererseits machten sich auf die Suche nach einer gemeinsamen Filmsprache.

Während das Buch nämlich munter die literarischen Stile wechselt, sucht der Film seine Bilder-Sprache für die unterschiedlichen Episoden und Erzählformen. Während das Buch Unfertigkeiten zulässt, Teile unvollendet zurücklässt oder gar abbricht, sucht der Film einen Look. Dadurch verliert er zwar viel von der Experimentierlust der Vorlage, gewinnt aber eine überlegene dramatische Spannung. Wie in einem Bilderbogen Shakespeares folgen wir den unterschiedlichen Erzählsträngen, die in zeitlicher Ungleichzeitigkeit stattfinden, als würden sie sich gegenseitig bedingen. Kampfszenen folgen Clownszenen folgen Liebeszenen folgen Traumszenen. Über drei Stunden werden anspruchsvolle Dialoge mit üppigen Bildern unterlegt, die wir alle schon irgendwann irgendwo einmal gesehen haben. Das soll auch so sein. Es hängt eben alles zusammen.

In der Tat scheren sich die Filmemacher ebenso wenig wie Mitchell um Konventionen. Souverän setzt der Roman sich über jedes Raum-Zeit-Kontinuum hinweg. Ebenso greifen die Filmemacher zu seinen Anspielung und spielen – allerdings nur selten – mit seinen Stilwechseln: Während das «Tagebuch» aus der Kolonialzeit im Buch unvermittelt abbricht, erfahren wir vom Schicksal des Musikgenies zur Zeit des zweiten Weltkrieges nicht in Briefen, sondern im gleichen Erzählstil. Während im Buch eine Reporterin Jahre später im Recherche-Stil Fakten zur Atom-Lobby zusammenträgt, wird ihre im Film souverän mit den anderen Geschichten verschmolzen. Verbindend wirkt hier auch die Musik von Tom Tykwer, der, wie immer in seiner Arbeit, seine eigene Musik bereits vor den Dreharbeiten komponiert hat.

Geradezu genial trifft Form und Inhalt in der Mehrfachbesetzung des beinahe gesamten Ensembles. Fast alle spielen mehrere Rollen. Halle Berry schlüpft wie Tom Hanks gleich in sechs verschiedene Wiedergeburten. Wenn, wie der Film uns sagen will, alles im Innersten zusammenhängt, dann wiederholen sich die Epochen in ihren Bewohnern. Während in der Geschichte das gleiche Muttermahl wiederkehrt, kehren auch in der Darstellung der Epochen die Schauspieler wieder. Das verschafft nicht nur das Vergnügen, Tom Hanks Wandelbarkeit zu rühmen, sondern auch ein wiederkehrendes Déjàvu in den Gesichtern der Figuren: Jahrhunderte später erkennen wir sie wieder, in einer weiteren Erscheinungsform. Das macht den Film jetzt schon zu meinem Oskar-Favoriten für die Ausstatung: Die beste Make-Up-Spezialisten dürfen neidisch auf Cloud-Atlas gucken.

Unter dem Strich endet der Film – wie das Buch – in einem fast esoterisch wirkenden  Patt. Während der Klon Sonmi-451 (Fahrenheit lässt ebenso grüssen wie vieles andere) zwölf Erklärungen zur Menschlichkeit in der Dystopie vergeblich predigt, wird der Sklave Autua gerettet und lebt der Ziegenhirt Zachry in der Postapokalypse weiter. Da werden historische Fakten mit Spekulationen verknüpft, zu einem Gesamtweltbild, das einem Glaubensbekenntnis nahe kommt: Bis der Wille zur Macht erst einmal vom Willen zum Guten abgelöst werden kann, haben wir da noch einige Umstürze vor uns. Ungläubige mögen den Cloud Atlas samt den zwölf Erklärungen von Sonmi-451 als flotten Mix von globalisiertem Unsinn abtun. Cloud-Atlas-Gläubige werden den optimistischen Ausblick aufs Blut verteidigen. Nach drei Stunden Aufständen der Menschen gegen Unterdrückung, wird eben selbst der Sinn der Revolution eine Glaubensfrage. 

 

 

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