Ohne Nationaltrainer Daniel Gisiger stünde in Rio kein Schweizer Bahnvierer am Start. Aus dem Nichts baute er in den letzten acht Jahren eines der weltbesten Teams für die Mannschaftsverfolgung auf.
«Gisiger ist der Übervater dieses Projekts.» Die Worte stammen vom eigentlichen Aushängeschild des Bahnvieres. Eigentlich, weil das Aushängeschild in Rio nicht dabei ist. Stefan Küng, als Weltmeister in der Einzelverfolgung der klar stärkste Bahnfahrer der Schweiz, verpasst die Olympischen Spiele wegen eines Sturzes an den Schweizer Meisterschaften im Zeitfahren.
Der Ausfall ihrer «Lokomotive» war ein herber Rückschlag für die Mannschaft, die nach ihrem 2. Rang im letzten Herbst an der Heim-EM in Grenchen zu den Medaillenkandidaten gezählt hatte. Ohne Küng mussten Gisiger und seine Schützlinge die Ambitionen runterschrauben. Statt eine Medaille peilen sie nun das Rennen um die Plätze 5 bis 6 an. «Das sollte realistischerweise möglich sein», glaubt Gisiger.
Auch der 5. Rang wäre für den Bahnvierer, der in der Besetzung Olivier Beer, Théry Schir, Silvan Dillier und Cyrille Thièry antritt, ein grosser Erfolg – umso mehr, wenn man bedenkt, wo der Bahnvierer angefangen hat. Ohne Geld, ohne Fahrer, ohne eigene Bahn und ohne Unterstützung rief Gisiger 2008 Jahren das Projekt ins Leben. Acht Jahre später hat der 62-Jährige aus Biel, als Aktiver selbst ein begnadeter Bahnfahrer, die Unterstützung und haben die Fahrer die Bahn in Grenchen – einzig grosse finanzielle Sprünge liegen im Vergleich mit der Konkurrenz nicht drin.
Wie die Fahrer freut sich auch Gisiger auf die Olympischen Spiele, die ihm als aktiver Bahnfahrer verwehrt geblieben sind. «Es kommen Leute zu mir, die nicht an das Projekt geglaubt haben, mich heute aber voll unterstützen», so Gisiger. «Wenn man aus dem Nichts bis an Olympische Spiele kommt, ist das eine Befriedigung. Was ich alles investiert habe an Zeit und Energie, das alles hat etwas gebracht. Und das ist schön», sagt Gisiger.
Nicht viel hätte gefehlt, und der Bahnvierer hätte bereits vor vier Jahren in London am Start gestanden. «London kam für uns etwas früh», erinnert sich Gisiger. «Aber wir legten danach keine Pause ein wie andere Nationen. Das war unser Vorteil.» Und mit Küng wusste er einen Fahrer in seinen Reihen, der den «Karren» zog. Unter Küngs Regie wurde der Schweizer Rekord um insgesamt mehr als 19 Sekunden verbessert.
Das Quartett, das heute die Qualifikation bestreitet, der im letzten Moment aus dem Team gerutschte Ersatzfahrer Frank Pasche und die daheim gebliebenen Fahrer sind mehr als nur eine Mannschaft. Sie alle bilden eine verschworene Gemeinschaft, der Trainer und die Betreuer eingeschlossen. Trainer Gisiger ist sich nicht zu schade, für seine Athleten nach dem Training auch einmal den Kochlöffel zu schwingen.
Gisiger versucht, aus seinen Fahrern nicht nur bessere Sportler zu machen, sondern auch bessere Menschen. «Es ist eine Schulung für die Karriere, die sie nach der Bahn machen werden. Ich selber hatte auch Erfolge auf der Strasse, aber eines meiner besten Erlebnisse war der Gewinn der WM-Bronzemedaille mit dem Vierer auf der Bahn. Man kann im Vierer nicht nur für sich selbst schauen, sondern muss als Team funktionieren.»
Als kleine Nation habe sich die Schweiz in der Mannschaftsverfolgung Respekt verschafft. Geht es nach Gisiger, wird das Projekt nach Rio fortgesetzt. Schliesslich rutschen talentierte Junioren nach, wie etwa der 17-jährige Stefan Bissegger. Der Thurgauer wurde im Juli in Aigle U19-Weltmeister in der Einzelverfolgung – mit Junioren-Weltrekord.
Gisiger wird das Team weiter betreuen. «Ich bin 62, und die Energie ist vielleicht nicht mehr ganz dieselbe wie vor acht Jahren. Aber ich habe immer noch Freude. Eine ganze Generation ist durch das aktuelle Vierer-Projekt motiviert und will in vier Jahren in Tokio dabei sein.»