Kaum zu glauben. Doch die europäische Kaffeegeschichte wäre ohne ihre eigenen Ersatz-Produkte kaum möglich gewesen. Tatsächlich sind die Kaffee-Surrogate wesentlich dafür verantwortlich, dass Kaffee populär und zum täglichen Getränk wurde.
Was waren Kaffee-Surrogate? Die Liste ist ellenlang, liesst sich abenteuerlich und zum Teil staubtrocken. Wobei „staubtrocken“ für das ein oder andere Surrogat eine zu freundliche Beschreibung wäre. Es handelt sich um Produkte die Kaffee ganz oder teilweise ersetzten, ersetzen oder strecken. Hier ein Ausschnitt aus einer Aufzählung von Mark Pendergrast aus Kaffee – wie eine Bohne die Welt veränderte: „Mandeln, Pfeilkraut, Spargelsamen und –stengel, gebackene Pferdeleber, Berberitze, Gerste, Bucheckern, Rote Bete, Buchsbaumsamen, Farn, Kleie, Brotkrusten, Brauabfälle, Ziegelstaub, verbrannte Lumpen, Kletten, Johannisbrot, Karotte, Kichererbse, Chicorée, Chrysanthemensamen, Kohlenasche, Kakaoschalen, Beinwellwurzeln, Preiselbeeren, Korinthen, Dahlienknollen, Löwenzahnwurzeln, Dattelsamen, Erde, Hundekuchen, Holunderbeeren, […] Sand, Sassafras, Sägemehle […].“ Und so weiter. Diese Aufzählung geht bei Pendergrast über eine halbe Seite. Womit wir noch nicht besprochen hätten, wie diese Surrogate eingefärbt oder dem Kaffee ähnlich gemacht wurden. Doch das ist ein anderes Kapitel und handelt von Blei, Arsen und Farbstoffen, hat aber wenig mit den anfänglichen Surrogaten zu tun, die dem Kaffee zu seiner ausserordentlichen Laufbahn verhalfen.
Zur Ausgangssituation. Während Kaffee spätestens mit der Vereinigung des arabischen Raumes durch das osmanische Reich (1520) in der islamischen Welt stark verankert wird, blicken wir in Europa vor allem noch in die Bier- und Weinkrüge. Erst 125 Jahre später öffnet in Venedig das erste Kaffeehaus. Weitere in Oxford (1650), Marseille (1659), Bremen (1673) und Wien (1685) folgen.
Kaffee war zu dieser Zeit ein Luxusgut, kaum erschwinglich für den gemeinen Bürger. Getrunken wurde er in betuchten Kreisen. Diese dienten dem Volk als Vorbild. Die Federers und Clooneys des 17. Jahrhunderts hiessen z.B. Süleiman Aga. Dieser türkische Gesandte lud am Hof von Louis dem XIV. zu einer Kaffeezeremonie ein und verzückte damit seine Gäste. Bald darauf war Kaffee an den europäischen Adelshöfen das Edel-Trendprodukt, gewissermassen der Nespresso von heute. Das gemeine Volk orientierte sich an den adligen Promis von damals. Es hörte von dem neuen Getränk aus dem Süden und dürstete danach es zu testen. Zunächst war dieses Vergnügen jedoch nur Wenigen vergönnt. Kaffee war kaum erschwinglich. Umso mehr wurde er begehrt. Es kam, was kommen musste. Zum einen erfanden findige Köpfe Ersatzprodukte, zum anderen entwickelten sich bald wahre Mythengeschichten über das neue Produkt. Vom Aphrodisiakum bis zur Medizin zur Erweiterung des Geistes, dem Kaffee wurde allerhand zugeschrieben. Übrigens nicht nur von Befürwortern. Wegbereiter des Erfolges waren sicher auch die Gegner. Die einen die befürchteten, dass ihre Getränkemonopole in Gefahr gerieten (Bier, Wein), die anderen, die in der neu entstehenden Kaffeehauskultur den Wind des freien Geistes wehen sahen und sich vor einem derart erwachenden Bürgertum fürchteten. Von Land zu Land reagierten die Herrschenden anders. Mit Verboten, Beschränkungen, aber auch Offenheit dem neuen Getränk gegenüber – durchaus auch davon abhängig, ob man selbst Kolonien unterhielt, die das neue Genussmittel produzierten.
Wo die Verbote überwogen (z.B. Schweiz und Deutschland), wurden umso kreativer Alternativen gesucht. Und nun sind wir bei den Surrogaten. Denn trinken wollte man das neue Wundergetränk. Zur Not auch gestreckt oder eine möglichst nahe Alternative. Das Rennen machte hier die Zichorie, genauer gesagt, ihre bitter schmeckende Wurzel. Unter Zugabe von Zuckerrüben und Fetten zerschnitten und geröstet, wurde sie ab 1769 in grösserem Stil industriell hergestellt.
Ein Exkurs zur Markengeschichte wäre hier interessant, hat aber zumindest an dieser Stelle kaum Platz. Jedenfalls wurde der Zichorien-Kaffee unter Slogans wie „Ohne euch gesund und reich“ und „Deutsche trinkt deutschen Kaffee und bleibt gesund“ als „Preussischer Kaffee“ bekannt. Er erhielt mit der Zeit Einzug in die gewöhnten Speiseabläufe der Menschen und verdrängte die Biersuppe als morgendliche Mahlzeit. Möglich war das nur, weil das Surrogat im Gegensatz zum echten Kaffee für das gemeine Volk finanzierbar war.
Der Geschmack des Ersatz-Kaffees etablierte sich so in allen Haushalten. Als dann die Produktion des echten Kaffees immer grösseres Ausmass annahm, bewegten sich auch die Kaffeepreise in erschwinglichere Tiefen. Und mit der Zeit wuchs auch die Menge des echten Kaffees in den Surrogat-Mischungen.
Heute können wir uns immer noch bewusst für ein Surrogat entscheiden. Viele Röstereien halten für Kunden spezielle Mischungen bereit. In Kaffeemischungen die als solche beschrieben sind, sollten die Surrogate allerdings verschwunden sein. Sind sie in der Regel. Ausnahmen zur Regel gibt es auch. Und es ist natürlich nicht immer alles Gold was glänzt oder wo Krönung, Premium oder Spezialität drauf steht. Aber dazu ein andermal mehr.