Ein Jugendlicher knüpft in der teuersten Einkaufsstrasse Jerusalems Tiere und Blumen aus Ballonen, damit sein grosser Traum nicht platzt.
Einer Abkürzung auf dem Weg zur Altstadt wegen wagte ich mich in die gefährliche Höhle – nicht des Löwen, sondern des Lacoste-Krokodils. Zwischen meiner Wohnung und dem nahen Jaffa-Tor liegt nämlich so etwas wie der Vorort der Hölle, allerdings getarnt durch den wohlklingenden Namen «Mamilla». Mamilla ist eine moderne Einkaufsstrasse, in der man nebst luxuriösen Kleider- und Schmuckgeschäften auch Restaurants und Bars findet, in denen – und das muss man diesem Ort zugute halten – sich Araber und Israelis munter mit den Touristen mischen. Wie repräsentativ diese Durchmischung ist, bleibt dennoch in Frage gestellt.
Geschickte Hände, grosses Herz
Auf meiner Höllenfahrt durch Mamilla also konnte ich durch die Schwaden des grosszügig aufgetragenen Damenparfüms plötzlich etwas unerhört Farbiges ausmachen. Beim Näherkommen stellte sich diese Farbexplosion als ein schlichter Tisch heraus, um den herum zahlreiche Tiere und Blumen aus Ballonen angeordnet waren. Hinter all diesen Farben und Formen verschwand beinahe der Künstler dieser Ballongestalten – Danya, 18 Jahre alt und ursprünglich aus der Ukraine.
Während wir miteinander sprachen, blieb ein kleines Mädchen mit grossen, glänzenden Augen vor Danya’s Stand stehen und betrachtete minutenlang die Ballontiere. Schliesslich kam die Mutter hinzu und erstand einen Affen zur Hälfte des Preises – Danya ging bereitwillig auf ihr Feilschen ein. Als Mutter und Tochter davonzogen – das Mädchen unentwegt seinen neuen Spielgefährten betrachtend – meinte Danya mit einem Schulterzucken: «Auf 10 Schekel kommt es auch nicht an, und schau‘, wie sehr das Mädchen sich jetzt freut.»
Danya schien nicht nur ein begabter Ballonknüpfer zu sein, sondern überdies auch noch ein grosses Herz zu haben. Doch was hat dieser sympathische junge Mann mit Ballonfiguren in dieser Luxusstrasse verloren?
Mit 16 alleine nach Israel gekommen
«Ich muss Geld verdienen», lautet die schlichte Antwort von Danya. «Ich bin momentan in einem Vorbereitungsprogramm für die Universität, denn ich will im nächsten Jahr Theater und Tanz studieren.»
Dass man sein eigenes Geld verdienen will, konnte ich durchaus verstehen. Also fragte ich Danya, ob er damit für etwas Bestimmtes spart. «Wie meinst du das, für etwas Bestimmtes sparen?» «Nun ja, ein Auto, eine Reise, hast du einen Traum, den du dir erfüllen möchtest?»
Dafür erntete ich Gelächter.
«Was ich hier mit den Ballonen verdiene, ist mein Lebensunterhalt. Ich bin mit 16 alleine nach Israel gekommen, um hier zu studieren. Die Schule für Theater und Tanz in Jerusalem ist eine der besten. Wenn ich dort bestehe, steht mir die Welt offen, ich kann in die USA gehen, nach Deutschland, nach England, nach Frankreich. Das ist mein Traum. Aber bis dahin muss ich wohl noch mit den Ballonen durchkommen.»
Jude sei er schon, aber dies war nicht der Grund, weshalb er nach Israel gekommen ist. «Einfach hier studieren – und dann hinaus in die Welt.»
Dass ihm dies gelingt, wünscht man ihm von Herzen – und vielleicht ist der Standort seiner Ballone gar nicht so schlecht gewählt, durchweht die vielbevölkerte Strasse doch tatsächlich ein kosmopolitischer Hauch.
P.S. Auf dem Heimweg kaufte ich zwei seiner Ballonblumen. Als Hinweise für zukünftige Israelreisende sei gesagt, dass es sich nicht empfiehlt, mit derart beschaffenen Blumen an einer Busstation im Feierabendverkehr zu warten. Denn die können platzen, und explosionsähnliche Geräusche an Busstationen in Israel machen sich nicht besonders gut. Glauben Sie mir, ich spreche aus Erfahrung.