„Das Glück der Unerreichbarkeit“

Buchreview zu „Das Glück der Unerreichbarkeit. Wege aus der Kommunikationsfalle“ von Miriam Meckel (2007) // Von Juri Fischer Die Welt in der wir leben wird immer komplexer. Die Zeit, die wir haben um die Komplexität zu bewältigen, wird immer knapper. Gestresst sein scheint zum Statussymbol geworden zu sein. Und wer ist eigentlich schuld daran? Grundsätzlich findet Miriam […]

Buchreview zu „Das Glück der Unerreichbarkeit. Wege aus der Kommunikationsfalle“ von Miriam Meckel (2007) // Von Juri Fischer

Die Welt in der wir leben wird immer komplexer. Die Zeit, die wir haben um die Komplexität zu bewältigen, wird immer knapper. Gestresst sein scheint zum Statussymbol geworden zu sein. Und wer ist eigentlich schuld daran? Grundsätzlich findet Miriam Meckel in ihrem Buch „Glück der Unerreichbarkeit – Wege aus der Kommunikationsfalle„, dass wir selber verantwortlich sind für unser Kommunikationsverhalten. Nur wir Menschen können den Kommunikationstechnologien, die uns zu Kommunikationssoziopathen machen, entsagen und einmal „den off-Schalter bedienen“. Die Technologie selber ist nicht schuld. Wenn man das Buch liest, fühlt man sich hin und wieder ertappt. Mit einem Auge hängt man doch immer am Handy oder am Laptop und wartet auf die nächste Nachricht. Dabei wird deutlich, dass Miriam Meckel es doch genau auf den Punkt bringt: Eigentlich sollte man, spätestens nach dieser Lektüre, sämtliche Geräte beiseite legen und sich voll auf das Medium Buch konzentrieren. Oder es wenigstens versuchen.  

Juri Fischer, Mewi-Student an der Uni Basel hat das Buch für den Mewi-Blog gelesen.

(Bild: Cover)

Wovon handelt das Buch?  Von der Multitasking-Datenflut, der fehlenden Gegenwart in entgrenzten Lebensräumen und der Wiederentdeckung der Langsamkeit. Es handelt auch von der w@ren Liebe und unserem Ego-Exhibitionismus im Netz. Aber vor allem geht es um Zeiterscheinungen, die uns krank machen, und um die Aufforderung, Verantwortung für sein Kommunikationsverhalten zu übernehmen.  Und woran leiden wir?  Eine konstante Überforderung macht sich unter der arbeitenden Bevölkerung breit, durch unser Multitaskingverhalten leiden wir vermehrt an Reizüberflutungen. Der Workaholic der vernetzten Gesellschaft arbeitet nicht nur viel, sondern auch überall und andauernd, die Folgen sind Stress und Unkonzentriertheit.  

Was sind wichtige Schlagworte?  Information overload, Multitasking-Datenflut, Kommunikationsabhängigkeit, Aufmerksamkeitsökonomie, Prioritäten setzen, Abschalten (dürfen), Kommunikative Identität (oder die freie Gestaltung der eigenen Kommunikation, also wann, wo und wie ich kommunizieren will) und  Flow-Theorie.  Flow?  Der Flow ist die mentale Haltung, die es erlaubt, dass der Mensch vollständig in eine aktuelle Tätigkeit eintaucht. Dies bezieht Meckel hier auch auf die Kommunikation die zielgerichtet, konzentriert und kontrolliert ablaufen soll.  

Was ist die zentrale These des Buches?  Es ist ein Plädoyer für einen verantwortungsvollen Umgang mit den technischen Möglichkeiten. Es ist auch ein Aufruf zu mehr kommunikativer Qualität statt Quantität. Das Problem liegt im gesellschaftlichen Druck immer und überall erreichbar sein zu müssen. Wer sein Leben aber nicht verpassen will, der sollte die digitalen Kommunikationsgeräte ausschalten können und sich auf das konzentrieren, was im Moment wichtig ist. Die Frage ist also nicht, ob wir überhaupt an der Kommunikation teilnehmen, denn das braucht und will jeder, sondern wie wir daran teilhaben.  Wie ausschalten? Heute muss alles schnell gehen. Eine Flucht aus der Routine des Arbeitsalltags und hinein in die Langsamkeit, gibt aber die Möglichkeit einen Moment zu intensivieren. Die Sendepause und die Stille fördern die Kreativität und das Denken und erlauben eine (mentale) Erholung.  

Haben Sie einen Lieblingssatz? 
„Ich simse, maile, chatte, also bin Ich.
Mir ist freigestellt, was ich von mir preisgebe, 
je mehr es ist, desto grösser ist die mir 
entgegen gebrachte Aufmerksamkeit.“

Gibt es Kritik am Buch?  Das Buch ist sehr umfassend und versucht auf alle Bereiche der modernen Kommunikation einzugehen, inklusive der Gebiete Liebe und Beziehungen – das ist viel. Einige Aussagen wirken dabei wie redundante Mantras, die den Leser zwar aufrufen sollten nachzudenken, aber den Text nicht selten oberflächlich wirken lassen. Die Autorin schweift oft weit ab oder holt weit aus, um auf den Punkt zu kommen. Zudem werden die positiven Aspekte der neuen Technologien kaum diskutiert.  

Warum empfehlen Sie das Buch?  Einfache und praktisch umzusetzende Hinweise, die einen möglichen Ausweg aus der Kommunikationsfalle der digitalen Hausbesetzer und Zeitdiebe ermöglichen, machen das Buch durchaus empfehlenswert. Hier vier Beispiele angeführt:

  • Zielgerichtete Kommunikation 
  • Konzentration und Fokus 
  • Festgelegte Zeiten „für mich“ 
  • Zwischen privater und beruflicher Kommunikation trennen    

Und wie erlange ich das Glück der Unerreichbarkeit?  Es stellt sich zuerst die Frage, ob man sich Glück überhaupt erarbeiten kann. Die Autorin sagt „Ja!“ und argumentiert mit Rousseau: „Die Freiheit des Menschen liegt nicht darin, dass er tun kann, was er will, sondern dass er nicht tun muss, was er nicht will.“ Wir erreichen mit unserer Abhängigkeit von der Kommunikation eine Situation die als „organologischer Zirkel“bezeichnet wird: Die Menschen machen sich ihre Werkzeuge massentauglich, bevor sie ihrerseits von diesen bestimmt werden. In diesem Sinn sollte man sich, besser spät als nie, dem Überangebot der Kommunikation widersetzen. Das Glück liegt auch, wie Thoreau schon sagte, darin, zu „vereinfachen“ und vor allem den „off-Schalter“ zu bedienen.  

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