Das Gotthelf von innen – Ein Streifzug durch die Hinterhöfe des Quartiers

Was verbirgt sich hinter den schmucken Fassaden im Gotthelf? Wir haben in den Innenhöfen nachgeschaut und ein Quartier im Stillstand gefunden. Von der Dachterrasse der Merian-Iselin-Klinik mit öffentlich zugänglichem Restaurant bietet sich ein Ausblick aus ungewohnter Perspektive über die Dächer Basels. Diesen Ort nehmen wir als Ausgangspunkt für unseren Streifzug durch die Hinterhöfe eines unspektakulären […]

Blick von der Merian-Iselin-Klinik: Ein geschlossener Blockrand ist typisch fürs Gotthelf. Die Innenhöfe werden unterschiedlich genutzt

Was verbirgt sich hinter den schmucken Fassaden im Gotthelf? Wir haben in den Innenhöfen nachgeschaut und ein Quartier im Stillstand gefunden.

Von der Dachterrasse der Merian-Iselin-Klinik mit öffentlich zugänglichem Restaurant bietet sich ein Ausblick aus ungewohnter Perspektive über die Dächer Basels. Diesen Ort nehmen wir als Ausgangspunkt für unseren Streifzug durch die Hinterhöfe eines unspektakulären Wohngebietes, das weder mit gross angekündigten Bauprojekten noch als «sozialer Brennpunkt» Aufmerksamkeit auf sich zieht.

Das Gotthelf-Quartier wurde gegen Ende des 19. Jahrhunderts als Wohnquartier für die Mittelschicht geplant. Bis zur Jahrhundertwende war es flächendeckend überbaut, die folgenden 20 Jahre wurde es weiter verdichtet. Heute zeichnet sich dieses Wohnquartier durch Ruhe und Mittelklasse aus. Im Gegensatz zum Iselin-Quartier nebenan ist die Zahl der Sozialhilfebezüger auffallend niedrig. Die (klein)bürgerliche Welt von damals scheint hier noch in Ordnung zu sein, jedenfalls wirkt es von aussen so.

Wir steigen deshalb von der Dachterrasse hinab in die Hinterhöfe, um einen Blick hinter die Fassaden zu werfen.

Der Altensilo

Vom Allschwilerplatz her kommt man durch einen schmalen Durchgang an der Eichenstrasse zum Wibrandishaus 1. Der Bauverein Oekolampad hat hier Mitte der siebziger Jahre gebaut. In einem Kreisbogen türmt sich der fünfgeschossige Komplex vor einem auf, die sichtgemauerte Fassade wirkt etwas geklotzt. 101 teilbetreute Alterswohnungen, jede mit Balkon, holen ein Maximum an Nutzfläche heraus – das Gebäude wirkt dementsprechend eingeengt.

Die Eingangshalle ist mit Briefkästen vollgestellt. An den Wänden kleben Zettel, die auf den nächsten Gottesdienst oder Ausflug hinweisen. Selbstgebastelte Sonnenblumen hängen still von der Decke; sie bewegen sich nur, wenn es durch die Türe zieht. Der gelbe Anstrich strahlt die beklemmende, zweckmässige Freundlichkeit aus, die man sonst von Pflegeheimen kennt.

Das Konzept scheint bis heute gut zu funktionieren, gemäss Webauftritt (Alterssiedlungen in Basel-Stadt) sind alle Wohnungen belegt. Ausgestorben wirkt der Hinterhof trotzdem und – wenn die gemütlich eingerichteten Gärten der Nachbarn nicht wären – trostlos. Der Kindergarten im Erdgeschoss der Alterssiedlung erscheint einem da wie eine Ausrede.

Die Rumpelkammer

«Nutzungsmix» heisst das neue Zauberwort in der Stadtentwicklung. Der Begriff gibt die Richtung für grosse städtebauliche Visionen vor, wie sie gerade im Dreispitz verwirklicht werden sollen. Umgekehrt ist Fragmentierung das Angstszenario. Denn dann hat die Planung versagt – oder noch schlimmer: gefehlt.

Im Geviert schräg gegenüber vom Eingang der Merian-Iselin-Klinik findet man beides. Ein langgezogener Wohnblock fügt sich erstaunlich luftig in die eine Hälfte des Innenraums. Die andere Hälfte teilen sich ein Schreiner- und ein Gipsergeschäft mit einem kleinen Bürogebäude. Dazwischen liegen einige hübsche Gärtchen, gemeinschaftliche Rasenflächen und Parkplätze. Die Parzellen sind strikt gegeneinander abgegrenzt: Eine tote Gebäuderückwand ist mit wildem Wein überwuchert, ein Maschendrahtzaun schneidet eine zerflickte Asphaltfläche entzwei, vernachlässigte Bepflanzung und brusthohe Mauern lassen nur gegenseitige Blicke gewähren. Es ist fast wie im Brocki: die Ecken, Kanten und Nischen in der Bausubstanz laden zum Stöbern ein.

Am Herrengrabenweg treffen wir den Co-Inhaber des Gipsergeschäfts an. Das Unternehmen wird in dritter Generation geführt, er selbst ist Partner. Bei einem Besitzerwechsel müssten sie allerdings raus, der Block ist im Kataster als Wohnzone aufgeführt. «Dann könnte man was Schönes daraus machen, habt ihr eine Idee?»

Leer, chaotisch, kahl

An der Buchenstrasse stossen wir auf einen Hinterhof, den sein Besitzer wohl irgendwann mal vergessen hat. Eine einzige Asphaltfläche füllt den trapezförmigen Innenhof, ein simpler Bretterverschlag grenzt die eine Seite ab. Aus den Rissen im Belag wuchert Unkraut. Wahrscheinlich war hier mal der Abstellplatz eines Baugeschäftes, im Unterstand am Ende des Hofs lagern noch alte Bauteile aus rotem Sandstein.

Man kann so viel vergeudeten Platz bedauern oder sogleich pragmatisch das Potenzial ausloten, beides wird diesem Innenhof nicht wirklich gerecht. Haben solche Freiräume nicht auch dann ihre Berechtigung, wenn man noch keine Vorstellung über ihren zukünftigen Nutzen hat? Eine stimmige Ästhetik ist bei einer «Fläche auf Reserve» dann auch nicht das oberste Gebot. Durchgestylte, sterile Ensembles gibt es anderswo in der Stadt zur Genüge. Ein Hinterhof darf seine Makel haben, menschlich sein, chaotisch – oder eben kahl.

Stadt mal intim

Als wir den Hof verlassen, ruft uns ein älterer Herr von der anderen Strassenseite zu: Ob es ein neues Tor gebe. Vom alten Holzgatter blättert die weisse Farbe ab, richtig schliessen lässt es sich in der Tat nicht. Diese Frage kann man sinnbildlich verstehen: Braucht Basel einen neuen Zugang zu seinen Hinterhöfen? Könnten diese urbanen Abstellkammern nicht geöffnet werden, ausgeräumt und frisch genutzt?

Das Potenzial solcher Innenhöfe fasziniert, aber eben auch das improvisierte Nebeneinander, das man da antrifft. Man hat das Gefühl, dass sich die Stadt im Hinterhof von ihrer intimen Seite zeigt. Vorsichtig zwar, aber tiefer als anderswo, gewährt sie einem Einblick hinter die Fassaden, ganz persönlich. Und solange sie das nicht jedem tut, ist es etwas Besonderes.

Geplanter Stillstand

Im Gotthelf heisst «persönlich» meistens auch «privat». Es scheint kein Bedürfnis nach gemeinsamer Nutzung der Innenhöfe zu bestehen, auch nicht nach «Nächsterholungsgebieten» im eigenen Hof. Der Verdacht liegt nahe, dass man sich hier aus seiner mittelständischen Komfortzone nicht so leicht raus bewegen lässt, um etwas zu verändern.

Das Quartier lebt von der angenehmen Ausstattung mit öffentlichen Freiflächen, die bereits in der West-Plateau-Planung von 1896 angelegt ist. Da sind die Oekolampadmatte am Nordrand, der Gotthelfplatz und der Pausenplatz des Schulhauses im Westen, nicht zu vergessen die Schützenmatte an der Südgrenze. Wenn die Sonne scheint, turnen hier die Kleinen an den Spielgeräten herum, spielen Fangis oder Fussball, während die Grossen gemütlich auf der Parkbank plaudern. Wem das nicht reicht, der ist schnell in der Innenstadt, am Rhein oder beim Bahnhof, wennʼs weiter weg gehen soll.

Vor Veränderung braucht man sich im Gotthelf nicht zu fürchten, daran können selbst die Raumplaner nichts ändern, die landauf, landab die Verdichtungskeule schwingen. Spätestens die kleinteilige Parzellierung vergrault noch jeden Investor. Auch beim städtischen Planungsamt stehen die Zeichen auf Bewahrung der Substanz: Das Westplateau bleibt von neuen Überbauungsplänen systematisch ausgespart, dafür kommen im neuen Zonenplan ein paar Strassenzüge mehr in den Genuss von Stadtbildschutz. Das einzige Projekt, das von sich reden macht, ist die Neugestaltung des Wielandplatzes.

Lasst uns rein!

Im historischen, steinernen Korsett des denkmalgeschützten Blockrandes gehören die Innenhöfe zu den wenigen Entwicklungsräumen, die dem Quartier zu Verfügung stehen. Beispiele dafür, wie man sie gewinnbringend nutzen kann, gibt es gleich um die Ecke. In Richtung Schützenmatte, wo die Vorgärten üppiger und die Häuser zierlicher werden, hat sich publikumswirksames Gewerbe angesiedelt: An der Säntisstrasse wird Fair-Trade-Kaffee für den kleinen Verbraucher geröstet und verkauft; eine Strasse weiter soll demnächst eine neue Café-Bar mit einem Laden aufgehen, der ausschliesslich regionale Produkte verkauft.

Es muss aber nicht unbedingt so innovativ sein. Man könnte einfach die vielen kleinen, grünen Oasen zugänglich machen, wenigstens für den eigenen Block. Wenn mehr Menschen die schon bestehenden Räume nutzen können, kommt Verdichtung ohne Beton aus. Dem Quartier würde ein wenig Innenleben eingehaucht. Dafür müsste man nur ein paar Zäune einreissen.

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