Seit 16 Jahren lebt Schwester Bernadette in Jerusalem – dies sei ihre Berufung, wie sie selbst sagt. Während der sieben Jahre, die sie bereits im beliebten Österreichischen Hospiz in der Altstadt von Jerusalem lebt und arbeitet, muss diese besondere Frau schon viel Freude und Wärme verbreitet haben.
Schwester Bernadette bittet erst um Verzeihung. «George, der Hund hat da drüben was gemacht, tut mir leid», sagt die Frau in weisser Schürze und weisser Haube, ihr Englisch mit charmantem österreichischem Akzent – diesen verliert Schwester Bernadette auch dann nicht, wenn sie deutsch spricht. Bevor wir uns zum Gespräch hinsetzen, bringt sie ihren Hund zurück in seine Hütte, damit er schlafen kann.
Geboren 1948 in Oberösterreich, machte sie eine Ausbildung zur Lehrerin, doch gearbeitet hat sie in diesem Beruf nie – denn mit nur 22 Jahren entschied sie sich, der Gemeinschaft der Kreuzschwestern beizutreten. Seither ist sie Schwester Bernadette.
Nach jahrelanger Arbeit in der Verwaltung der Gemeinschaft entschloss sie sich schliesslich, nach England zu gehen und dort Englisch zu studieren. «Ich habe wirklich vorgehabt, dieses Studium abzuschliessen», sagt Schwester Bernadette mit einem Schmunzeln, «doch dann kam der Anruf aus Jerusalem.» Sie feierte noch ihren 50. Geburtstag in England und begab sich schliesslich nach Jerusalem, dem Ruf des Abts von der Dormitio-Abtei folgend, der sich Schwester Bernadette als Verwalterin für die erst im Entstehen begriffene Verwaltung der Abtei gewünscht hatte.
So kam sie 1999 in Jerusalem an, ein Jahr später brach die zweite Intifada – ein gewaltsamer Aufstand der Palästinenser, der viele Tote auf beiden Seiten forderte – aus. Wie sieht Schwester Bernadette als Christin diesen Konflikt, der unter anderem auch ein Konflikt der Religionen ist?
«Trotz allem sehe ich Harmonie unter den Menschen hier.»
«Verstehen Sie, wenn man hier lebt», sie weist in Richtung des Fensters, unter dem sich der Weg zur muslimischen Al-Aqsa-Moschee und zur jüdischen Klagemauer mit der christlichen Via Dolorosa schneidet, «dann sieht man, dass trotz allem noch Harmonie herrscht zwischen den meisten Menschen aller drei Religionen.»
Und sie erklärt, wie am Freitagmorgen die Muslime auf dem Weg zur Moschee mit den Christen zusammentreffen, die sich gegen Mittag in der Via Dolorosa versammeln, während kurz vor Sonnenuntergang die Juden zur Klagemauer eilen – zu 99 Prozent verläuft dieses Aufeinandertreffen der verschiedenen Gläubigen friedlich.
In den Medien hört man lediglich von dem einen Prozent, wenn doch einmal etwas geschieht, und so entsteht zum einen der Eindruck, dass die Gewaltbereitschaft hoch und zum anderen die Sicherheit in der Altstadt niedrig sei – Schwester Bernadette schaut mich an und stellt mit einer Frage fest: «Das stimmt doch, oder?»
Kaiser Franz und Wiener Schnitzel
Inzwischen lebt und arbeitet Schwester Bernadette nicht mehr in der Dormitio, sondern wurde 2008 ins Österreichische Hospiz berufen, das sich an besagter faszinierender Strassenkreuzung in der Altstadt befindet. Das Hospiz – das in seiner langjährigen Geschichte unter anderem auch schon als Lazarett und später als Spital diente – ist heute eine Pilgerherberge und inmitten der wuselnden Geschäfte der Altstadt ein Ort der Ruhe und Besinnung. Betritt man es, lächelt einem der in Öl gehaltene Kaiser Franz Josef zu, im Kaffeehaus bekommt man Wiener Schnitzel und Demel-Schokolade zu Walzerklängen serviert.
Schwester Bernadette ist hier als Vize-Rektorin tätig und zuständig für den hauswirtschaftlichen Service und das Personal – und nicht zuletzt auch für die warme Atmosphäre, die sie mit ihrem breiten Lächeln, ihrer Ruhe und dem wohlwollenden Interesse an Mitarbeitenden und Gästen verbreitet. Die Ruhe mag sie nicht zuletzt aus ihrem Glauben an Gott beziehen, ohne den sie sich ihr Leben nicht vorstellen könne, wie sie sagt. Und so sind auch zwei Erlebnisse, die ihr besonders viel bedeuten, mit dem Glauben verbunden.
«Diese Atmosphäre kann man eigentlich gar nicht beschreiben.»
Zum einen ist dies eine Tradition, die jeweils am Gründonnerstag stattfindet. In dieser Nacht zieht man mit Fackeln vom Garten Gethsemane hinauf zum Ölberg, auf dem die Kirche des Hahnenschreis steht – das Ziel der Pilger, nachdem sie den Berg erklommen haben. «Es herrscht in dieser Nacht jeweils eine richtige Gebetsatmosphäre», sagt Schwester Bernadette und fügt nostalgisch hinzu: «Das kann man eigentlich gar nicht beschreiben.»
Das zweite Erlebnis sei die Nacht vom 24. auf den 25. Dezember, wenn sich jeweils eine Gruppe Gläubiger auf den Weg macht, um von Jerusalem nach Bethlehem zu wandern – die heute in palästinensischem Autonomiegebiet liegende Stadt, in der Jesus am Weihnachtstag geboren sein soll. Auch diese Prozession führt Fackeln mit sich und früher sei man die ganze Distanz – «wie zu Maria und Josefs Zeit» – auf einem Wiesenweg gegangen. Heute ist dies wegen der Mauer, die um Bethlehem errichtet wurde, leider nicht mehr möglich und man muss sich mit der asphaltierten Strasse begnügen.
Als wir zum Dach hinaufsteigen, um ein Foto zu machen, wird Schwester Bernadette zur Fragenden und ich gebe die Antworten. Es muss mir wie vielen anderen gehen, die von diesem ehrlichen Interesse überrascht sind in einer Zeit, in der doch viele vor allem an sich selbst Interesse zeigen. Nicht so Schwester Bernadette, und ich beschliesse, bald wiederzukommen, um einige mit österreichischem Akzent gesprochene Worte und ihr Lächeln zu erhaschen.
Als wir das Dach wieder verlassen, winkt sie dem diensthabenden Wachmann zu und sagt: «Ich komme sie bald besuchen, bald habe ich Zeit.» Und der Wachmann setzt sich etwas aufrechter hin und nickt lächelnd.