«Das merkwürdige Kätzchen» am Film-Festival Belfort

Ein Hauch vom Belforter «Entrevues»-Filmfestival in Basel: «Das merkwürdige Kätzchen», dieses merkwürdig-gute Frühwerk von Roman Zürcher, läuft in den Kult-Kinos. Am Festival Entrevues in Belfort läuft «Das merkwürdige Kätzchen» im Wettbewerb. Frankreich, sagt der Berner Regisseur Zürcher, sei ohnehin das Land, dessen Filme ihn am meisten beeinflusst hätten. Die alten Filme. Die grossen Meister. Sie […]

Ein Hauch vom Belforter «Entrevues»-Filmfestival in Basel: «Das merkwürdige Kätzchen», dieses merkwürdig-gute Frühwerk von Roman Zürcher, läuft in den Kult-Kinos.

Am Festival Entrevues in Belfort läuft «Das merkwürdige Kätzchen» im Wettbewerb. Frankreich, sagt der Berner Regisseur Zürcher, sei ohnehin das Land, dessen Filme ihn am meisten beeinflusst hätten. Die alten Filme. Die grossen Meister. Sie hätten ihn gelehrt zu schauen. Das scheint auch in Frankreich aufgefallen zu sein: Nach Belfort läuft der Film auch an anderen Festivals des Nachbarlandes. In Basel ist der Film in den Kult-Kinos zu sehen.

Das Merkwürdige Kätzchen

Erst sieht es aus wie ein Fehler. Die Kamera bleibt stehen, als hätte der Kameramann vergessen, zu schwenken. Der Ton des Kätzchens geht nahtlos in einen Kinderschrei über. Dann sitzt ein kleines Mädchen im orangenjusfarbenen T-Shirt vor einem Orangenjus und schreit lauter als eine Kaffemaschine, so dass es seine Mutter nicht verstehen kann. Sie bleibt dann auch viel länger im Bild, als die Handlung es erfordert hätte.

In Zürchers Kosmos muss man mit scheinbaren Fehlern leben: Die Tonspur erzählt oft eindrücklicher von Dingen die nicht im Bildfluss zu sehen sind. Das Bild bleibt an Menschen hängen, die längst unser Interesse verloren haben. Als hätte die Cutterin beim Zurechtschneiden des Filmes etwas verpasst. Jedoch setzen sich diese scheinbaren Fehler bald zu einer eigenen Regelhaftigkeit zusammen: Hier schaut, lauscht, baut einer anders! Aber wie?   

Eigentlich erst eine Seminararbeit

Mit «Das Merkwürdige Kätzchen» hat Ramon Zürcher an der Deutschen Film- und Fernsehakademie in Berlin eigentlich eine Seminararbeit abgeliefert. Dennoch zeigt er eine erstaunliche Reife in der Komposition. Akribisch genau rückt er einer Familie auf den Leib, die sich zu einem Familienessen trifft. Zürcher fängt erst Einzelheiten ein, variiert sie, kombiniert sie, gliedert die Abläufe in Kapitel und setzt schliesslich zu einer Symphonie zusammen, die aus Einzelbildern zu bestehen scheint: Das Fotoalbum einer Familienfeier. Aber wie er es einfängt, ist mehr als das Gesellenstück eines Hochschulabgängers.

Der Film funktioniert über die Nebensächlichkeit. Man ist beim Zuschauen von möglichst vielem abgelenkt, von allen Wahrnehmungen erfüllt. Mutter erzählt beiläufig, wie sie im Kino von Grossmutters tiefem Atem ebenso zerstreut war, wie vom Nachbarsfuss, der plötzlich an ihren stiess. Erst Grossmutter habe sie durch ihr Erwachen gerettet. Als sie gefragt habe, wo sie denn sei, sei der Nachbarsfuss gewichen. Kurz nach dieser Erzählung taucht wieder ein Fuss auf – diesmal im Bild – und schwebt drohend über dem essenden Kätzchen.

Eine verspielte Komposition aus geplanten Zufällen

An den scheinbar alltäglichen Begebenheiten entwickelt Ramon Zürcher so etwas wie die vierte Dimension einer Kinderstätte: Immer wieder bleibt eines der Kinder an einer Sonderbarkeit hängen. Das Kästchen im Korridor macht ein eigenartiges Geräusch, wenn man auf eine bestimmte Diele tritt. Der Junge und das Mädchen scheinen fast übersinnlich genau zu beobachten, was sich in der Erwachsenenwelt routiniert abspielt.

In «Das merkwürdige Kätzchen» scheint das Bild immer auf etwas zu verweisen, was sich ausserhalb des Bildes abspielt, zumindest ausserhalb der Bildzeit: Es war eben noch von Bedeutung, oder wird es später erst. So erhalten die gesehenen Dinge eine neu gehörte, unerhörte Bedeutung und gehören zu einer neuen Ordnung innerhalb der Geschichte: Die Orangenschale auf dem Boden. Der Wind über der Teetasse. Das Schnurren des Kätzchens.

Es sind diese Überschärfen, die das Bild zugleich heiter und bedrohlich machen. Spannend ist das für Zuschauer, die gerne auf Entdeckungsreise in einem Film gehen. Jene, die sich lieber einlullen lassen, werden rasch gelangweilt sein. Auch wenn dem «merkwürdigen Kätzchen» noch das Bewusstsein für die Reduktion fehlt, auch wenn die Geschichten arg skizziert und mit Figuren überladen sind. Das gehört zu einer Methode. Von der wir noch nicht viel wissen. Ausser, dass sie ungewohnt ist. Der Stil ist eher mit einem Robert Walser als mit einem Martin Suter zu vergleichen. Der eine will demütig erlesen werden. Der andere drängt sich uns mutig auf. Das Gesellenstück «Kätzchen» will erlesen sein. Das macht neugierig. Auf Ramon Zürchers Abschlussarbeit.

 

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Das merkwürdige Kätzchen läuft in den Kult-Kinos

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